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Zwischen Medizin- und Tierethik

Ein Herz aus Schwein oder ein Herz für Tiere

Im Januar 2022 berichteten die Medien auf der ganzen Welt von der ersten erfolgreichen Transplantation eines Schweineherzens auf einen Menschen. Dieser medizinische Meilenstein kann Patienten auf den langen Wartelisten Hoffnung geben. Die Transplantation eines Schweineherzen auf den Amerikaner David Bennett rückte allerdings neben medizinethischen Fragestellungen auch tierethische Aspekte in den Blickpunkt. Im Kern geht es um die Frage: Ist es zu rechtfertigen, Tiere zum Zweck der Organproduktion zu züchten und zu töten? Ich denke, nein. Diese These ist begründet in der Abwägung der folgenden juristischen, medizinischen und ethischen Argumente.

Aus juris­ti­scher Sicht wäre in Deutsch­land die the­ra­peu­ti­sche Xeno­trans­plan­ta­ti­on (griech: xenos, fremd), also die Trans­plan­ta­ti­on von tie­ri­schen Zel­len, Gewe­ben oder Orga­nen auf den Men­schen, in Über­ein­stim­mung mit dem gel­ten­dem Tier­schutz­ge­setz. Der Tier­schutz ist zwar seit August 2002 als Staats­ziel in Arti­kel 20a des Grund­ge­set­zes der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land ver­an­kert, das aktu­el­le Tier­schutz­ge­setz regelt aber ins­be­son­de­re das Hal­ten und Töten von Tie­ren, Ein­grif­fe an Tie­ren, sowie Tier­ver­su­che. Geschützt wer­den Tie­re dabei ledig­lich vor intrin­sisch moti­vier­ter, grau­sa­mer Quä­le­rei. Denn „[m]it Frei­heits­stra­fe bis zu drei Jah­ren oder mit Geld­stra­fe wird bestraft, wer […] einem Wir­bel­tier aus Roh­heit erheb­li­che Schmer­zen oder Lei­den […] zufügt […]“ (§17 Tier­schutz­ge­setz). Die­sen Rege­lun­gen des Tier­schutz­ge­set­zes wur­de in der Ände­rung vom 19.06.2020 in §1 fol­gen­der Grund­satz vor­an­ge­stellt: „Zweck die­ses Geset­zes ist es, aus der Ver­ant­wor­tung des Men­schen für das Tier als Mit­ge­schöpf des­sen Leben und Wohl­be­fin­den zu schüt­zen. Nie­mand darf einem Tier ohne ver­nünf­ti­gen Grund Schmer­zen, Lei­den oder Schä­den zufü­gen.“ Was ver­nünf­ti­ge Grün­de sind, wird nicht voll­um­fäng­lich erklärt und eröff­net einen brei­ten Inter­pre­ta­ti­ons­spiel­raum. Aktu­ell sind durch die­sen unbe­stimm­ten Rechts­be­griff Mas­sen­tier­hal­tung und mil­lio­nen­fa­ches Töten von Tie­ren sowohl zur Fleisch­pro­duk­ti­on als auch in Tier­ver­su­chen gesetz­lich legi­ti­miert. Wenn in die­sem Rechts­ver­ständ­nis das Töten von Tie­ren zu den eben genann­ten Zwe­cken als ver­nünf­ti­ger Grund aner­kannt ist, stellt die Ret­tung oder Ver­län­ge­rung eines mensch­li­chen Lebens durch die Trans­plan­ta­ti­on eines tie­ri­schen Organs durch­aus einen ver­nünf­ti­gen Grund dar. Natür­lich unter der Vor­aus­set­zung einer ent­spre­chen­den Hal­tung der Spen­der-Tie­re. Also doch ein Herz aus Schwein?

Auch wenn die Xeno­trans­plan­ta­ti­on in Deutsch­land im Ein­klang mit gel­ten­dem Tier­schutz­ge­setz wäre, spricht zual­ler­erst ein medi­zi­ni­sches Argu­ment gegen einen brei­ten the­ra­peu­ti­schen Ein­satz: Aus medi­zi­ni­scher Sicht ist es frag­lich, ob die the­ra­peu­ti­sche Xeno­trans­plan­ta­ti­on das Pro­blem wird lösen kön­nen, für das sie eine Lösung sein soll: Die Knapp­heit an mensch­li­chen Spen­der­or­ga­nen zu behe­ben. Allein in Deutsch­land war­ten knapp zehn­tau­send Men­schen auf ein Spen­der­or­gan. Der­zeit könn­te die Xeno­trans­plan­ta­ti­on das Leben die­ser Men­schen ledig­lich um weni­ge Mona­te ver­län­gern. Auch David Ben­nett ver­starb knapp zwei Mona­te nach der Trans­plan­ta­ti­on. Es ist zu bezwei­feln, dass auf abseh­ba­re Zeit mit der Xeno­trans­plan­ta­ti­on ver­gleich­ba­re Ergeb­nis­se zu erzie­len sein wer­den, wie mit der Trans­plan­ta­ti­on mensch­li­cher Orga­ne. Hür­den auf dem Weg sind vor allem die Absto­ßungs­re­ak­tio­nen des mensch­li­chen Immun­sys­tems, die bereits von einer Mensch-auf-Mensch-Trans­plan­ta­ti­on nur durch star­ke Medi­ka­ti­on unter­bun­den wer­den kön­nen. Die phy­sio­lo­gi­schen Unter­schie­de zwi­schen tie­ri­schen und mensch­li­chen Orga­nen ver­grö­ßern die­ses Pro­blem. Außer­dem zu nen­nen ist das poten­zi­ell gro­ße Risi­ko von Zoo­no­sen, also der Über­tra­gung von Mikro­or­ga­nis­men und Viren vom Tier auf den Men­schen.

Im Ein­zel­fall könn­te dank Xeno­trans­plan­ta­ti­on zwar die War­te­zeit auf ein mensch­li­ches Organ lebens­ret­tend über­brückt wer­den, die Pati­en­ten ver­schwin­den aber nicht von der War­te­lis­te. Der Man­gel an mensch­li­chen Spen­der­or­ga­nen wür­de dadurch nicht gelöst, son­dern nur zeit­lich ver­la­gert.

Ange­nom­men, die­se medi­zi­ni­schen Hür­den wür­den durch inten­si­ve For­schung über­wun­den und tie­ri­sche Orga­ne könn­ten in Zukunft im Men­schen eben­so funk­ti­ons­fä­hig sein, wie mensch­li­che Spen­der­or­ga­ne. Die­se Orga­ne wür­den von Tie­ren stam­men, die gen­tech­nisch so ver­än­dert sind, dass sie salopp gesagt „homo-kom­pa­ti­bel“ sind. Aus Grün­den der Hygie­ne wür­den die­se Tie­re in Labor­um­ge­bung gehal­ten und schließ­lich getö­tet, sobald das Organ (oder die Orga­ne) reif bzw. benö­tigt wür­den. Wäre es ethisch zu recht­fer­ti­gen, Tie­re ein­zig zu die­sem Zweck zu züch­ten?

Nein, das wäre es aus mei­ner Sicht nicht. Zur Begrün­dung die­ser The­se muss man nicht in die Tie­fen der tier­ethi­schen Debat­te ein­tau­chen und den Ver­such unter­neh­men, die tier­ethi­sche Kern­fra­ge nach dem mora­li­schen Sta­tus der nicht-mensch­li­chen Tie­re zu beant­wor­ten. Es reicht aus, sich nur zwei Fra­gen zu stel­len: Ers­tens, selbst wenn man die Hal­tung ver­tritt, im Ver­brauch von Tie­ren zur Fleisch­pro­duk­ti­on, Tier­ver­su­chen oder the­ra­peu­ti­schen Metho­den läge kein ethi­sches Pro­blem: Was, wenn man sich irrt? Und zwei­tens; ange­nom­men, es gäbe gleich­wer­ti­ge oder bes­se­re Alter­na­ti­ven zur the­ra­peu­ti­schen Xeno­trans­plan­ta­ti­on: Soll­ten die­se Alter­na­ti­ven dann nicht in jedem Fall prä­fe­riert wer­den?

Diese Alternativen gibt es

Ers­tens ist das Poten­zi­al an mensch­li­chen Organ­spen­dern bei Wei­tem nicht aus­ge­schöpft: Laut den im Juli 2021 ver­öf­fent­li­chen Ergeb­nis­sen einer bun­des­wei­ten reprä­sen­ta­ti­ven Umfra­ge der Bun­des­zen­tra­le für gesund­heit­li­che Auf­klä­rung ste­hen mehr als acht­zig Pro­zent der Befrag­ten einer Organ- oder Gewe­be­spen­de eher posi­tiv gegen­über. Ob die 2020 im Rah­men der Neu­re­ge­lung des Trans­plan­ta­ti­ons­ge­set­zes beschlos­se­ne Aus­wei­tung des Infor­ma­ti­ons­an­ge­bots inklu­si­ve nied­rig­schwel­li­ger Online-Regis­trie­rung der Spen­den­be­reit­schaft die­se Lücke bereits schlie­ßen oder signi­fi­kant ver­klei­nern kann, wird sich zei­gen. In der­sel­ben Umfra­ge haben 42 Pro­zent der Befrag­ten ange­ge­ben, dass sie ger­ne mehr Infor­ma­tio­nen hät­ten und knapp Zwei­drit­tel der Befrag­ten war das Online-Regis­ter nicht bekannt. Allein durch eine bes­se­re Infor­ma­ti­ons­kam­pa­gne soll­te sich die Zahl der Spen­der­or­ga­ne dem­nach erhö­hen las­sen.

Zwei­tens gibt es viel­ver­spre­chen­de Fort­schrit­te bei der Züch­tung von Orga­nen im Labor, dem soge­nann­ten Tis­sue Engi­nee­ring. Bis zur the­ra­peu­ti­schen Trans­plan­ta­ti­on voll­stän­di­ger Orga­ne ist es zwar noch ein wei­ter Weg, aber For­schern der Uni­ver­si­tät Min­ne­so­ta ist es bereits 2008 gelun­gen, ein neu­es, funk­ti­ons­fä­hi­ges Herz aus einer mit den Herz­zel­len einer Rat­te geimpf­ten Organ­ma­trix aus­zu­bil­den. Das Tis­sue Engi­nee­ring bie­tet dar­über hin­aus das Poten­zi­al, das Pro­blem der Organ­ab­sto­ßung zu lösen, indem das Ersatz­or­gan maß­ge­schnei­dert wird, da es mit den Zel­len des war­ten­den Emp­fän­gers her­ge­stellt wer­den kann. Das bedeu­tet eine spür­ba­re Ver­bes­se­rung der Lebens­qua­li­tät Trans­plan­tier­ter gegen­über der jet­zi­gen Situa­ti­on oder gegen­über der Idee, gar ein tie­ri­sches Spen­der­or­gan zu trans­plan­tie­ren.

Neben den Vor­tei­len der the­ra­peu­ti­schen Organ­trans­plan­ta­ti­on zahlt das Tis­sue Engi­nee­ring auf das lang­fris­ti­ge Ziel der bio­me­di­zi­ni­schen For­schung ein: Wenn mög­lich auf Tier­ver­su­che zu ver­zich­ten. Aktu­ell sind noch mehr als 85 Pro­zent der Tier­ver­su­che in Deutsch­land gesetz­lich vor­ge­schrie­ben, vor allem bei der Zulas­sung neu­er Medi­ka­men­te. Aber die Bran­che hat sich dem 3R-Prin­zip ver­schie­ben:

  • Replace: Wo immer mög­lich, sol­len Tier­ver­su­che durch ande­re Metho­den ersetzt wer­den.
  • Redu­ce: Wenn das nicht mög­lich ist, sind die Tests auf ein Min­dest­maß zu redu­zie­ren.
  • Refi­ne: Design des Tier­ver­suchs der­art, dass die Belas­tung (Lei­den, Schmer­zen, Schä­di­gung) für die Ver­suchs­tie­re mini­mal ist.

Das Tis­sue Engi­nee­ring setzt direkt beim Replace-Prin­zip an, denn gezüch­te­te Orga­ne sind nicht nur als Trans­plan­tat geeig­net, son­dern auch, um neue Wirk­stof­fe gezielt an den betref­fen­den Orga­nen und mensch­li­chen Zel­len zu tes­ten, und so Tier­ver­su­che in der Wirk­stoff­for­schung zu erset­zen.

Man könn­te gegen bei­de Alter­na­ti­ven ein­wen­den, dass auch sie das Pro­blem des Organ­man­gels nicht zeit­nah wer­den lösen kön­nen. Zum einen sta­gniert die Anzahl an Spen­der­or­ga­nen. Es gibt begrün­de­te Zwei­fel, ob es über­haupt gelin­gen kann, das Spen­der­po­ten­zi­al auf das not­wen­di­ge Niveau zu heben. Zum ande­ren ist auch das Tis­sue Engi­nee­ring noch weit davon ent­fernt, Orga­ne in Serie zu pro­du­zie­ren und die Organ­knapp­heit zu lösen.

Bei­de Ein­wän­de sind zutref­fend, jedoch ist anzu­mer­ken, dass bei­de Alter­na­ti­ven einen ver­gleich­ba­ren Rei­fe­grad wie die zur the­ra­peu­ti­schen Xeno­trans­plan­ta­ti­on haben. Im Ver­gleich zur knapp 100-jäh­ri­gen For­schungs­ge­schich­te der Xeno­trans­plan­ta­ti­on sind die Fort­schrit­te im Tis­sue Engi­nee­ring inner­halb der letz­ten zwan­zig Jah­re beacht­lich – und auch die gesell­schaft­li­che Debat­te über eine Wider­spruchs­re­ge­lung wird wahr­schein­lich wei­ter­ge­führt, soll­ten die neu­en Maß­nah­men nicht grei­fen.

Wenn wir uns heu­te ent­schei­den soll­ten, für wel­chen Weg wir unse­re Res­sour­cen ein­set­zen, plä­die­re ich im Sin­ne des effek­ti­ven Altru­is­ten Wil­liam MacAs­kill dafür, „Gutes bes­ser [zu] tun“ – die­je­ni­gen Alter­na­ti­ven zu för­dern, die das medi­zin­ethi­sche Pro­blem der Organ­knapp­heit lösen kön­nen, ohne es durch ein tier­ethi­sches Pro­blem zu erset­zen. Im Zwei­fel gilt: bes­ser ein Herz für Tie­re als ein Herz aus Schwein.

Quellen und vertiefende Literatur

  • Beck­mann, J. P. et al. „Xeno­trans­plan­ta­ti­on von Zel­len, Gewe­ben oder Orga­nen. Wis­sen­schaft­li­che Ent­wick­lun­gen und ethisch-recht­li­che Impli­ka­tio­nen“ (2000)
  • Hani­el, A. „Orga­ne um jeden Preis? Zur Fra­ge der Alter­na­ti­ven der post­mor­ta­len Organ­spen­de“
  • Zeit­schrift für Evan­ge­li­sche Ethik 44, no. 1 (2000), 269–284
  • Nida-Rüme­lin, J., von der Pford­ten, D. in „Ange­wand­te Ethik. Die Bereichs­ethi­ken und ihre theo­re­ti­sche Fun­die­rung. Ein Hand­buch“ (2012), 514–567
  • Thurn­herr, U. in „Hand­buch Phi­lo­so­phie und Ethik: Band 2: Dis­zi­pli­nen und The­men“ (2017), 273–282
  • Tier­schutz­ge­setz in der Fas­sung der Bekannt­ma­chung vom 18.05.2006 (BGBl. I S. 1206, 1313), Geset­ze im Inter­net, abge­ru­fen am 13.04.2022
  • „Wis­sen, Ein­stel­lung und Ver­hal­ten der All­ge­mein­be­völ­ke­rung zur Organ- und Gewe­be­spen­de“ BZgA For­schungs­be­richt (2021)
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