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Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zu § 217 StGB

Recht auf Suizidhilfe – absolut oder relativ?

| von
Justitia

Beitragsbild: Pixabay/Edward Lich

Der Gesetzgeber muss seine Haltung zur Unterstützung einer Selbsttötung nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) völlig neu ordnen.

Das Urteil des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­rich­tes (BVerfG) wen­det sich gegen einen entmün­digenden Lebens­schutz und erklärt zunächst das Recht auf Selbst­be­stim­mung für abso­lut. Doch dies wird dann auch rela­ti­viert, indem pro­ze­du­ra­le Absi­che­run­gen nahe­ge­legt wer­den. Die­se sol­len gewähr­leis­ten, dass ein Sui­zid­hil­fe­ver­lan­gen auch ernst- und dau­er­haft ist und nicht auf Einschrän­kungen der Wil­lens­fä­hig­keit beruht. Fol­gen­de Ori­gi­nal­zi­ta­te ver­deut­li­chen das dem Karls­ru­her Urteil zugrun­de­lie­gen­de Gesamt­ver­ständ­nis von Auto­no­mie und Men­schen­wür­de.

Das BVerfG hat in sei­nem 343 Rand­num­mern auf gut 100 Sei­ten umfas­sen­den Urteil am 26. Febru­ar 2020 ent­schie­den: 

„Die Ent­schei­dung des Ein­zel­nen, sei­nem Leben ent­spre­chend sei­nem Ver­ständ­nis von Lebens­qua­li­tät und Sinn­haf­tig­keit der eige­nen Exis­tenz ein Ende zu set­zen, ist im Aus­gangs­punkt als Akt auto­no­mer Selbst­be­stim­mung von Staat und Gesell­schaft zu akzep­tie­ren. […] Die Frei­heit, sich das Leben zu neh­men, umfasst auch die Frei­heit, hier­für bei Drit­ten Hil­fe zu suchen und Hil­fe, soweit sie ange­bo­ten wird, in Anspruch zu neh­men“ (BVerfG-Urteil, Leit­satz 1).

Eine reprä­sen­ta­ti­ve Umfra­ge von Report Mainz Anfang die­ses Jah­res ergab eine weit­ge­hen­de Über­einstimmung damit in der Bevöl­ke­rung. Dort wächst ste­tig das Bewusst­sein im Sin­ne eines postreli­giösen Huma­nis­mus, dass auch der eige­ne Tod nicht mehr als schick­sal- oder gott­be­stimmt hinge­nommen wer­den muss. Die Bürger*innen bewegt, wie ein wür­di­ges und huma­nes Lebens­en­de ohne lan­ges Siech­tum zu gewähr­leis­ten ist.

Absolute Selbstbestimmung über Beendigung des eigenen Lebens

Zwar sehen in die­sem Sin­ne auch die Karls­ru­her Richter*innen den Sozi­al­staat gefor­dert, für überzeu­gende Alter­na­ti­ven zu Sui­zi­dent­schei­dun­gen Sor­ge zu tra­gen. Es müs­se jedoch dem Ein­zel­nen „die Frei­heit ver­blei­ben, auf die Erhal­tung des Lebens zie­len­de Ange­bo­te aus­zu­schla­gen“ (aus­drück­lich auch der Hos­piz- und Pal­lia­tiv­ver­sor­gung) und statt­des­sen eine „Ent­schei­dung, das eige­ne Leben mit Hil­fe bereit­ste­hen­der Drit­ter zu been­den, umzu­set­zen“ (BVerfG-Urteil, Rn. [= Rand­num­mer] 277). 

Die wohl libe­rals­te Aus­sa­ge im Urteil lau­tet: Das – inso­fern abso­lut gesetz­te – Ver­fü­gungs­recht über das eige­ne Ster­ben „ist ins­be­son­de­re nicht auf schwe­re oder unheil­ba­re Krank­heits­zu­stän­de oder bestimm­te Lebens- und Krank­heits­pha­sen beschränkt. […] Die­ses Recht besteht in jeder Pha­se mensch­li­cher Exis­tenz.“ Die Ver­wur­ze­lung des Per­sön­lich­keits­rech­tes „in der Menschenwürdegaran­tie des Art. 1 Abs. 1 GG impli­ziert gera­de, dass die eigen­ver­ant­wort­li­che Ent­schei­dung über das eige­ne Lebens­en­de kei­ner wei­te­ren Begrün­dung oder Recht­fer­ti­gung bedarf“ (Rn. 210).

Anzu­er­ken­nen wären dem­zu­fol­ge auch exis­ten­zi­el­ler Lebens­über­druss, Ver­ein­sa­mung, Pflegebedürf­tigkeit, Ver­ar­mung sowie selbst poli­ti­sche und sozia­le Moti­ve (wie „nicht zur Belas­tung wer­den“ zu wol­len). Dabei wür­den sich eben­so „altru­is­ti­sche Beweg­grün­de“ (also z. B. die Berück­sich­ti­gung – auch finan­zi­el­ler – Bedürf­nis­se von Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen) „grund­sätz­lich einer Bewer­tung“ bzw. mora­li­schen Ver­ur­tei­lung ent­zie­hen (Rn. 259). Das Recht, Hil­fe zur Selbst­tö­tung in Anspruch zu neh­men, steht jedoch (nur) „zur frei­en Selbst­be­stim­mung und Eigen­ver­ant­wor­tung fähi­gen Men­schen“ (Rn. 204) zu. Davon kön­ne nur aus­ge­gan­gen wer­den, wenn der Ent­schluss, aus dem Leben zu schei­den, „von einer gewis­sen ‚Dau­er­haf­tig­keit‘ und ‚inne­ren Fes­tig­keit‘ getra­gen ist“ und „nicht etwa auf einer vor­über­ge­hen­den Lebens­kri­se beruht“ (Rn. 244).

Relativierung der Autonomie bei zu gewährender Suizidhilfe

Das Urteil bezieht empi­ri­sche Erkennt­nis­se ein, wonach bei der über­wäl­ti­gen Mehr­heit von Suizidfäl­len psy­chi­sche Stö­run­gen vor­han­den sind und schät­zungs­wei­se ein Vier­tel aller Selbst­tö­tun­gen auf einer so schwe­ren Depres­si­on beru­hen, dass sie „zu einer ein­ge­schränk­ten Ein­wil­li­gungs­fä­hig­keit“ geführt hat (Rn. 245). Zudem sei das Ver­lan­gen zu ster­ben „häu­fig ambi­va­lent und wech­sel­haft“, von Kon­flik­ten beglei­tet und beru­he „regel­mä­ßig auf einem kom­ple­xen Motiv­bün­del“ (Rn. 244). Als wei­tere Risi­ko­fak­to­ren zur Gefähr­dung einer frei­en Sui­zi­dent­schei­dung nennt das BVerfG unzu­rei­chen­de Auf­klä­rung über medi­zi­ni­sche oder sons­ti­ge lebens­ori­en­tier­te Alter­na­ti­ven sowie Beein­flus­sung oder sub­ti­le Druck­aus­übung durch Fremd­in­ter­es­sen und betont: „Es steht dem Gesetz­ge­ber frei, ein proze­durales Siche­rungs­kon­zept zu ent­wi­ckeln“ (Rn. 340).

Dazu wer­den etwa psy­cho­lo­gisch-psych­ia­tri­sche Bera­tungs- und beson­de­re ärzt­li­che Sorg­falts- und Doku­men­ta­ti­ons­pflich­ten genannt. Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­ter Jens Spahn hat ange­kün­digt, die ent­sprechenden Mög­lich­kei­ten für einen legis­la­ti­ven Lebens­schutz, unter ande­rem mit Kirchenvertre­ter*innen, voll aus­zu­schöp­fen. Die Gefahr „einer Ent­mün­di­gung durch die Hin­ter­tür“ ist aber gege­ben, wenn auto­no­me Ent­schei­dun­gen ein­sei­tig nur in ihrer Beschränkt­heit gese­hen wer­den. Ande­rerseits sind sie unstrit­tig „regel­mä­ßig von gesell­schaft­li­chen und kul­tu­rel­len Fak­to­ren beein­flusst; Selbst­be­stim­mung ist immer rela­tio­nal ver­fasst“ (Rn. 235).

Der Huma­nis­ti­sche Ver­band Deutsch­lands – Bun­des­ver­band hat gemäß den Vor­ga­ben des BVerfG-Urteils den Ent­wurf für ein detail­lier­tes Son­der­ge­setz „zur Bewäl­ti­gung von Sui­zid­hil­fe und Suizidkon­flikten“ (Sui­zid­hil­fe­kon­flikt-Gesetz) vor­ge­legt. Dar­in soll eine selbst­be­stimm­te Ent­schei­dung in ihrer Rela­tio­na­li­tät berück­sich­tigt wer­den – aber nicht durch restrik­ti­ve Ver­pflich­tun­gen und Zumu­tun­gen, son­dern mit Bera­tungs- und Gesprächs­an­ge­bo­ten, damit sie sich in Aus­tausch und Kom­mu­ni­ka­ti­on mit ande­ren ent­wi­ckeln kann.

Nach­zu­le­sen ist das „Sui­zid­hil­fe­kon­flikt­ge­setz“ auf der Web­site des HVD Bun­des­ver­ban­des.

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