Die „Alternative für Deutschland“ (AfD) ist eine demokratisch legitimierte Partei. Sie sitzt im Bundestag und allen Landtagen. Ist die AfD daher auch eine demokratische Partei? Nicht nur ihre Anhänger bejahen diese Frage, ähnlich äußern sich auch manche Kommentatoren. Dabei handelt es sich aber um einen Denkfehler, denn eine demokratische Legitimation steht nicht notwendigerweise für eine demokratische Position. Ansonsten wären KPD und NSDAP auch demokratische Parteien in der Weimarer Republik gewesen. Beide dezidiert antidemokratisch eingestellten politischen Akteure waren eben lediglich in den Reichstag hinein gewählt worden. Diese Erinnerung an historische Geschehnisse beabsichtigt keine inhaltliche Gleichsetzung mit der genannten heutigen Partei. Es geht lediglich um die Differenzierung von demokratisch legitimiert und demokratisch positioniert. Denn hier wird die Auffassung vertreten, dass die AfD nicht nur ein Problem mit Rechtsextremisten in ihren Reihen hat. Sie kann mittlerweile selbst als eine rechtsextremistische Partei angesehen werden.
Bei der AfD erfolgte ein Entwicklungsprozess, der auf folgende Einschätzung hinausläuft: Anfänglich bestand in ihr eine rechtsdemokratische Mehrheit mit einer rechtsextremistischen Minderheit, heute existiert dort eine rechtsextremistische Mehrheit mit einer rechtsdemokratischen Minderheit. Diese Differenzierung ist zunächst hinsichtlich der Einschätzung wichtig, dass eine rechte politische Auffassung durchaus mit den Basiswerten einer modernen Demokratie konform gehen kann. Erst wenn deren Grundlagen negiert und relativiert werden, lässt sich von einer extremistischen Orientierung oder Prägung sprechen. Die noch kurze Geschichte der Partei macht deutlich, dass es ebendort eine kontinuierliche Entwicklung hin zu rechtsextremistischen Positionierungen gab. Dies zeigen Bekundungen hochrangiger Funktionäre, Einflussgewinne des nationalistischen „Flügel“ ebenso wie Erklärungen ausgetretener Parteimitglieder im inhaltlichen Zusammenhang deutlich. Dafür stehen folgende Beobachtungen:
Frühere AfD-Gallionsfiguren sprechen von einer „NPD light“ (Hans Olaf Henkel) oder einer „völkischen Prägung“ (Bernd Lucke). Andere Aussteiger berichten über das Innenleben der Partei, das von öffentlich ansonsten nicht geäußerten Haltungen und Positionen geprägt sei. Grußformen wie „Heil Höcke“ kursieren wohl in der Jugendorganisation, wie Berichte aus deren Innenleben verdeutlichen (zuletzt von Nicola Bodaghi und Alexander Leschik). Aus der AfD traten eben nicht eindeutig extremistischen Akteure, sondern gemäßigt konservative Mitglieder aus. Und auf dem letzten Bundesparteitag konnten sich wie bei der „Dexit“-Frage die „Flügel“-Repräsentanten bei bedeutsamen Voten durchsetzen. Zwar gibt es einen parteiinternen Konflikt um die inhaltliche Richtung, der von angeblich Gemäßigten (wie Jörg Meuthen) und ausgeprägten Nationalisten (wie Björn Höcke) geführt wird. Indessen handelte es sich eher um strategische Differenzen, denn grundsätzliche Unterschiede. Denn die Erstgenannten kooperierten lange problemlos mit den Letztgenannten.
Es lohnt auch der aufmerksame Blick auf öffentliche Statements, die von bedeutenden AfD-Funktionsträgern eben nicht nur in internen Kontexten vorgetragen wurden. Bei den gemeinten Aussagen ist eine besondere Botschaft mit spezifischer Wortwahl interessant. Am Abend der Bundestagswahl 2017 äußerte beispielsweise Alexander Gauland: „Wir werden sie jagen. Werden Frau Merkel oder wen auch immer jagen und wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen.“ Bekanntlich jagt man etwas, um es zu erlegen – zumindest im üblichen Sprachgebrauch. Eine gewählte Bundeskanzlerin wird von einer parlamentarischen Oppositionspartei kontrolliert und kritisiert. Dies wären die passenden Formulierungen für die postulierte Praxis gewesen. Gauland formulierte vor laufenden Kameras aber bewusst anders. Ihm soll hier keine Gewaltaffinität unterstellt werden, aber durchaus eine eskalierende Polarisierungsabsicht. Sie ging noch dazu mit einer Anmaßung einher, denn der AfD gehörten – mit knapp 13 Prozent der Stimmen – weder das Land noch das Volk.
Auch in Bundestagsreden schürte man fremdenfeindliche Ressentiments, was ein Statement von 2018 von Alice Weidel veranschaulicht: „Doch ich kann Ihnen sagen: Burkas, Kopftuchmädchen und alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse werden unseren Wohlstand, das Wirtschaftswachstum und vor allem den Sozialstaat nicht sichern.“ Eine solche Aussage hat nichts mehr mit einer differenzierten Kritik an der Migration zu tun. Hier wurden erkennbar gegenüber Flüchtlingen herabwürdigende Verallgemeinerungen vorgenommen. Die genutzte Formulierung „Messermänner“ macht sie gar alle zu potentiellen Mördern. Beide Aussagen erfolgten übrigens nicht aus einer zufälligen Situation heraus. Denn die Gelegenheiten waren den Rednern vorher bekannt und insofern wählten sie ihre Worte offenkundig bewusst. Es kann sogar von einer beliebten Kommunikationsform der Partei gesprochen werden: Durch solche Formulierungen provoziert man, kommt daran inhaltliche Kritik auf, ist von Missverständnissen und Opferstatus die Rede.
Und Björn Höcke äußerte 2017 in einer öffentlichen Rede: „Und diese dämliche Bewältigungspolitik, die lähmt uns heute noch viel mehr als zu Franz Josef Strauß‘ Zeiten. Wir brauchen nichts anderes als eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad.“ Die Anspielung auf die „dämliche Bewältigungspolitik“ spielt auf die kritische Erinnerung an die NS-Herrschaft mit all ihren Verbrechen an. Hier stellt sich aber die Frage, warum diese „lähmt“? Was soll ohne das kritische Gedenken daran denn eine politische Handlungsoption sein? Auch das Bild von der „180 Grad“-Wende ist interessant. Bekanntlich bedeutet eine solche Entwicklung – mathematisch verstanden – das genaue Gegenteil zum Vorherigen. Das wäre dann eine „Bejubelungspolitik“ statt einer „Bewältigungspolitik“. Die Formulierung kann schwerlich anders gedeutet werden, hätten doch ansonsten andere Worte genutzt werden müssen. Blickt man übrigens auf die Aufzeichnung der Rede, so zeigt sich: Hier wurde ein zuvor geschriebener Text lediglich als schlichte Vorlesung präsentiert.
Insofern handelte es sich weder hier um Ausrutscher noch in anderen Fällen. Die AfD-Politiker arbeiten mit rhetorischen Effekten, um solche inhaltlichen Botschaften und ressentimentgeladene Stimmungen zu vermitteln. Dafür gibt es zahlreiche Beispiele, die aus unterschiedlichen Entwicklungsphasen und von verschiedenen Sprechern stammen. Die konkreten Aussagen laufen nicht nur auf rechtsextremistische Positionen hinaus, sie stehen auch für eine hetzerische Polarisierung. Darüber hinaus prägt häufig schlechtes Benehmen die öffentliche Präsenz von deren politischen Sympathisanten. Dies macht aus der AfD in der Gesamtschau seit 2018 eine rechtsextremistische Partei. Die Entwicklung dorthin wollten frühere Funktionsträger (Bernd Lucke, Frauke Petry) stoppen, wobei sie aber mit ihrem Anliegen scheiterten und heute auch keine Mitglieder mehr sind. Gerade diese Feststellung belegt die vorgetragene Position. Denn für die Austritte dieser wie weniger bekannter früherer Parteiangehöriger wurde immer wieder auf den dortigen „Rechtsruck“ verwiesen.
Dafür spricht einerseits, dass sie in allen bedeutsamen Parlamenten sitzt, und andererseits, dass die Regierungspolitiken mitunter so etwas fördern. Es gilt aber auch den Eindruck zu korrigieren, es handele sich lediglich um eine Protestwahl. Der Blick auf die Ergebnisse der empirischen Sozialforschung verdeutlicht, dass in der Bevölkerung nach wie vor ein bedeutsames rechtsextremistisches Einstellungspotential besteht. Statt dafür allgemeine Daten zu präsentieren, seien hier konkrete Zustimmungswerte genannt. Auch 2021 meinten (Summe von „stimme überwiegend zu“ und „stimme voll und ganz zu“, in Klammern „teils/teils“, also keine dezidierte Ablehnung): „Was Deutschland jetzt braucht ist eine einzige starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert“: 18,4 Prozent (16,4 Prozent) , „Wir sollten einen Führer haben, der Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand regiert“: 7,4 Prozent (8,2 Prozent) oder „Eigentlich sind die Deutschen anderen Völkern von Natur aus überlegen“: 4,3 Prozent (12, 3 Prozent). Die AfD wird von diesem Potential bevorzugt gewählt.
Weiterführende Literatur
- Bauer, Katja/Fiedler, Maria: Die Methode AfD. Der Kampf der Rechten: im Parlament, auf der Straße und gegen sich selbst, Stuttgart 2021.
- Kraske, Michael: Tatworte. Denn AfD & Co meinen, was sie sagen, Berlin 2021.
- Pfahl-Traughber, Armin: Die AfD und der Rechtsextremismus. Eine Analyse aus politikwissenschaftlicher Sicht, Wiesbaden 2019.
- Zick, Andreas/Küpper, Beate (Hrsg.): Die geforderte Mitte. Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2020/21, Bonn 2021.