Zum Internationalen Tag der Menschenrechte

Das Humanitäre Völkerrecht als Teil der Menschenrechte

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Beitragsbild: Wikimedia Commons/OSeveno | CC BY-SA 4.0 International

Nur wenig jünger als die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 sind die vier Abkommen, in denen die Genfer Konvention 1948/1949 neu gefasst wurde. Sie stellen den Kern des „Humanitären Völkerrechts“ dar. Ihr Anliegen ist, Menschen im Krieg zu schützen. Dennoch sind Kriegsverbrechen allgegenwärtig. Die Verfolgung von Kriegsverbrechern kommt nur sehr langsam voran. Die Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofs gegen Putin und Netanjahu sind ein Test für die Umsetzung internationalen Rechts.

Kann das Leid in einem Krieg durch welt­wei­te Abkom­men ver­min­dert wer­den? Dies ist die Inten­ti­on der Gen­fer Kon­ven­ti­on. Vor 160 Jah­ren, am 22. August 1864, unter­zeich­ne­ten zwölf Staa­ten in Genf die „Kon­ven­ti­on zur Ver­bes­se­rung des Schick­sals der ver­wun­de­ten Sol­da­ten der Armeen im Fel­de“. Die­ser völ­ker­recht­li­che Ver­trag sah den Schutz von Ver­wun­de­ten und die Neu­tra­li­tät des Sani­täts­per­so­nals vor. Die­ses soll­te durch ein rotes Kreuz auf wei­ßem Grund sicht­bar sein. Vor 75 Jah­ren wur­de die Kon­ven­ti­on durch vier Abkom­men zum Schutz von Kriegs­ge­fan­ge­nen und Zivil­per­so­nen neu gefasst. Seit 1977 gilt gemäß Zusatz­ab­kom­men auch für nicht-inter­na­tio­na­le Kon­flik­te der huma­ni­tä­re Min­dest­stan­dard der Kon­ven­tio­nen, die inzwi­schen von fast 200 Staa­ten unter­zeich­net wur­den.[1]

Im Wandel der Zeiten

Der römi­sche Staats­mann Cice­ro befand: „inter arma silent leges“ („Unter Waf­fen schwei­gen die Geset­ze“). Den­noch gab es nach dem ame­ri­ka­ni­schen Bür­ger­krieg, dem sehr opfer­rei­chen Krim­krieg und ande­ren Krie­gen im 19. Jahr­hun­dert zuneh­mend Über­le­gun­gen, wie die schlimms­ten Kriegs­aus­wir­kun­gen, ins­be­son­de­re auf Nicht­kämp­fen­de, ver­hin­dert wer­den könn­ten. Ein wich­ti­ger Mei­len­stein dabei war 1864 die Ver­ab­schie­dung der Gen­fer Kon­ven­ti­on durch 12 Staa­ten.

Hel­mut von Molt­ke, Gene­ral­ma­jor des Deut­schen Rei­ches, emp­fand 1880, gegen­über der „Ver­wilderung des drei­ßig­jäh­ri­gen Krie­ges“ sei die Gegen­wart durch eine neue „Huma­ni­tät der Krieg­füh­rung“ gekenn­zeich­net, bei der man un­nötige Gewalt­ex­zes­se ver­mei­den woll­te. Dies stimm­te frei­lich nur sehr begrenzt. Teil­wei­se wur­de zur schnel­len Been­di­gung eines Krie­ges bewusst die Zivil­be­völ­ke­rung ter­ro­ri­siert. Der Völ­ker­recht­ler Carl Lue­der schrieb 1889, dass eine „Huma­ni­täts­rück­sicht“ grund­sätz­lich nie in­frage käme, „ganz abge­se­hen davon, daß die wah­re Huma­ni­tät mög­lichst bal­di­ge Been­di­gung und folg­lich ener­gi­sche Füh­rung des Krie­ges ver­langt und daß wei­ter­ge­hen­de Rück­sich­ten, auch wenn sie von der Theo­rie der Völ­ker­rechts­wis­sen­schaft gefor­dert wer­den soll­ten, nie­mals von der Pra­xis der Krieg­füh­rung beach­tet wer­den wür­den“.[2] Den­noch blieb die Fra­ge der Huma­ni­tät im Krie­ge akut.

Ange­sichts wei­te­rer Krie­ge des aus­ge­hen­den 19. Jahr­hun­derts wur­de par­al­lel zur Gen­fer Kon­ven­ti­on das Haa­ger Recht (1907) ent­wi­ckelt. Nach dem Ers­ten Welt­krieg wur­den wei­te­re Ver­ein­ba­run­gen getrof­fen, z. B. zum Ver­bot che­mi­scher und bio­lo­gi­scher Waf­fen oder zur Behand­lung von Kriegs­ge­fan­ge­nen. Lei­der wur­den sol­che Abkom­men von wich­ti­gen Staa­ten erst gar nicht rati­fi­ziert oder sie wur­den bewusst ver­letzt, etwa durch die Deut­sche Wehr­macht im Krieg gegen die Sowjet­uni­on. Leh­ren aus den Gräu­eln des Zwei­ten Welt­kriegs wur­den erneut in Genf gezo­gen und in vier Abkom­men als neue Gen­fer Kon­ven­ti­on ver­ab­schie­det (1948/49).

Natür­lich sind die Unter­zeich­ner­staa­ten dazu ver­pflich­tet, das Huma­ni­tä­re Völ­ker­recht auch im natio­na­len Recht zu ver­an­kern und ins­be­son­de­re ihre Streit­kräf­te in die­sem Recht zu schu­len. Für die Bun­des­wehr gibt es die zen­tra­le Dienst­vor­schrift „Huma­ni­tä­res Völ­ker­recht in bewaff­ne­ten Kon­flik­ten“.[3]

Inhalte der Konventionen

Der allen vier Kon­ven­tio­nen gemein­sa­me Arti­kel 3 lau­tet:

„Im Fal­le eines bewaff­ne­ten Kon­flikts, der kei­nen inter­na­tio­na­len Cha­rak­ter[4] auf­weist und der auf dem Gebiet einer der Hohen Ver­trags­par­tei­en ent­steht, ist jede der am Kon­flikt betei­lig­ten Par­tei­en gehal­ten, wenigs­tens die fol­gen­den Bestim­mun­gen anzu­wen­den:
1. Per­so­nen, die nicht direkt an den Feind­se­lig­kei­ten teil­neh­men, ein­schließ­lich der Mit­glie­der der bewaff­ne­ten Streit­kräf­te, wel­che die Waf­fen gestreckt haben, und der Per­so­nen, die infol­ge Krank­heit, Ver­wun­dung, Gefan­gen­nah­me oder irgend­ei­ner ande­ren Ursa­che außer Kampf gesetzt wur­den, sol­len unter allen Umstän­den mit Mensch­lich­keit behan­delt wer­den […]. Zu die­sem Zwe­cke sind und blei­ben in Bezug auf die oben erwähn­ten Per­so­nen jeder­zeit und jeden­orts ver­bo­ten:
a. Angrif­fe auf Leib und Leben, nament­lich Mord jeg­li­cher Art, Ver­stüm­me­lung, grau­sa­me Behand­lung und Fol­te­rung;
b. Gefan­gen­nah­me von Gei­seln;
c. Beein­träch­ti­gung der per­sön­li­chen Wür­de, nament­lich ernied­ri­gen­de und ent­wür­di­gen­de Behand­lung;
d. Ver­ur­tei­lun­gen und Hin­rich­tun­gen ohne vor­her­ge­hen­des Urteil eines ord­nungs­mä­ßig bestell­ten Gerich­tes, das die von den zivi­li­sier­ten Völ­kern als uner­läss­lich aner­kann­ten Rechts­ga­ran­tien bie­tet.
2. Die Ver­wun­de­ten und Kran­ken wer­den gebor­gen und gepflegt.“

In einer gro­ßen Zahl wei­te­rer Arti­kel wer­den Fest­le­gun­gen zum Schutz von Ver­wun­de­ten, Kriegs­ge­fan­ge­nen und wei­te­ren kampf­be­tei­lig­ten Opfern fest­ge­legt.

In der vier­ten Kon­ven­ti­on geht es erst­mals um den „Schutz von Zivil­per­so­nen in Kriegs­zei­ten“. So gel­ten z. B. für den Bereich von Kran­ken­häu­sern, gegen die es Angrif­fe in den aktu­el­len Kon­flik­ten sowohl in der Ukrai­ne als auch in Gaza gab, dass „Zivil­spi­tä­ler, die zur Pfle­ge von Ver­wun­de­ten, Kran­ken, Schwa­chen und Wöch­ne­rin­nen ein­ge­rich­tet sind,“ unter kei­nen Umstän­den ange­grif­fen wer­den dür­fen. Die Kran­ken­häu­ser sol­len soweit als mög­lich von mili­tä­ri­schen Zie­len ent­fernt sein. „Der den Zivil­spi­tä­lern gebüh­ren­de Schutz darf nur auf­hö­ren, wenn sie aus­ser­halb ihrer huma­ni­tä­ren Auf­ga­ben zur Bege­hung von Hand­lun­gen ver­wen­det wer­den, die den Feind schä­di­gen. Immer­hin darf ihnen der Schutz erst ent­zo­gen wer­den, nach­dem eine War­nung, die in allen Fäl­len, soweit angän­gig, eine ange­mes­se­ne Frist setzt, unbe­ach­tet geblie­ben ist.“

In die­sem Zusam­men­hang ist auch die Fest­le­gung aus Art. 28 zu sehen, dass kei­ne geschütz­te Per­son dazu benützt wer­den darf, „um durch ihre Anwe­sen­heit mili­tä­ri­sche Ope­ra­tio­nen von gewis­sen Punk­ten oder Gebie­ten fern­zu­hal­ten.“
Für Frau­en gilt u. a. Art. 27 der vier­ten Kon­ven­ti­on zum „Schutz von Zivil­per­so­nen in Kriegs­zei­ten“: „Die Frau­en wer­den beson­ders vor jedem Angriff auf ihre Ehre und nament­lich vor Ver­ge­wal­ti­gung, Nöti­gung zur gewerbs­mä­ßi­gen Unzucht und jeder unzüch­ti­gen Hand­lung geschützt.“

Pri­va­tes und öffent­li­ches Eigen­tum ist geschützt, „aus­ser in Fäl­len, wo sol­che Zer­stö­run­gen wegen mili­tä­ri­scher Ope­ra­tio­nen uner­läss­lich wer­den soll­ten.“

Ins­be­son­de­re im Gaza-Krieg steht Art. 55 im beson­de­ren Fokus:

Die Beset­zungs­macht hat die Pflicht, die Ver­sor­gung der Bevöl­ke­rung mit Nah­rungs- und Arz­nei­mit­teln mit allen ihr zur Ver­fü­gung ste­hen­den Mit­teln sicher­zu­stel­len; ins­be­son­de­re hat sie Lebens­mit­tel, medi­zi­ni­sche Aus­rüs­tun­gen und alle ande­ren not­wen­di­gen Arti­kel ein­zu­füh­ren, falls die Hilfs­quel­len des besetz­ten Gebie­tes nicht aus­rei­chen.  [… ]

Recht muss auch durchgesetzt werden

Die Gen­fer Kon­ven­tio­nen gehö­ren zu den erfolg­reichs­ten Rechts­set­zungs­pro­jek­ten in der Geschich­te des Völ­ker­rechts und sie wer­den mit den Ent­wick­lun­gen der Kriegs­füh­rung wei­ter­ent­wi­ckelt wer­den müs­sen. „Den­noch gehen auch heu­ti­ge Krie­ge regel­mä­ßig mit Ver­let­zun­gen des huma­ni­tä­ren Völ­ker­rechts ein­her, oder es wird ver­sucht, Schutz­be­stim­mun­gen aus­zu­he­beln oder zu umge­hen. Der gewach­se­nen Auto­ri­tät des Inter­na­tio­na­len Straf­ge­richts­hofs zum Trotz lässt die Durch­set­zung der huma­ni­tär-völ­ker­recht­li­chen Bestim­mun­gen wei­ter zu wün­schen übrig – nicht zuletzt, weil sie all­zu oft den Inter­es­sen ein­zel­ner Staa­ten zuwi­der­lau­fen wür­de.“[5] Das Haupt­pro­blem in Zusam­men­hang mit dem Huma­ni­tä­ren Völ­ker­recht ist sei­ne Umset­zung. Dabei geht es zum einen um die Erfas­sung von Ver­stö­ßen, ins­be­son­de­re von aus­ge­spro­che­nen Kriegs­ver­bre­chen, und dann natür­lich um die Ahn­dung der Ver­bre­chen, um die Ver­ur­tei­lung von Natio­nen und Kriegs­ver­bre­chern.

1991 wur­de als völ­ker­recht­li­ches Organ die Inter­na­tio­na­le huma­ni­tä­re Ermitt­lungs­kom­mis­si­on (Inter­na­tio­nal Huma­ni­ta­ri­an Fact-Fin­ding Com­mis­si­on) mit Sitz in Bern ein­ge­rich­tet. Sie soll im Auf­trag von Staa­ten, die ihre Kom­pe­tenz aner­kannt haben, aber unpar­tei­isch sind, Vor­wür­fen zu schwer­wie­gen­den Ver­stö­ßen gegen das huma­ni­tä­re Völ­ker­recht nach­ge­hen. Die Kom­mis­si­on selbst hat nicht die Mög­lich­keit der Ver­ur­tei­lung von Staa­ten oder Per­so­nen.

Eine Straf­ver­fol­gung ist mög­lich einer­seits durch die natio­na­le Gesetz­ge­bung der Staa­ten, die die Kon­ven­ti­on aner­kannt haben. Alle Unter­zeich­ner­staa­ten kön­nen Kriegs­ver­bre­chen ankla­gen und ver­ur­tei­len, unab­hän­gig davon, ob die­se im eige­nen Staats­ge­biet statt­fan­den oder eige­ne Staats­an­ge­hö­ri­ge betei­ligt waren.[6]

Wenn eine natio­na­le Straf­ver­fol­gung nicht mög­lich oder nicht gewollt ist, kommt der Interna­tionale Straf­ge­richts­hof (IStGH) in Den Haag ins Spiel. Er hat mit Inkraft­tre­ten des Römi­schen Sta­tu­tes[7] als sei­ner völ­ker­recht­li­chen Grund­la­ge seit dem 1. Juli 2002 die Mög­lich­keit, Völ­ker­mord, Ver­bre­chen gegen die Mensch­lich­keit, Ver­bre­chen der Aggres­si­on und Kriegs­ver­bre­chen straf­recht­lich zu ver­fol­gen. Er kann kei­ne Staa­ten ver­fol­gen, son­dern nur Per­so­nen. Der Gerichts­hof kann von Unter­zeich­ner­staa­ten ange­ru­fen, vom Sicher­heits­rat der Ver­ein­ten Natio­nen beauf­tragt oder aus eige­ner Initia­ti­ve tätig wer­den. Chi­na, die USA, Russ­land, Isra­el und wei­te­re Län­der gehö­ren nicht oder nicht mehr zu den 124 Län­dern, die den Gerichts­hof aner­ken­nen.

Bis­he­ri­ge Ver­fah­ren vor dem Inter­na­tio­na­len Straf­ge­richts­hof rich­te­ten sich gegen nicht­staat­li­che Akteu­re aus Län­dern mit gerin­gen inter­na­tio­na­len Ein­fluss­mög­lich­kei­ten, vor allem aus Afri­ka und Latein­ame­ri­ka. Dies ändert sich all­mäh­lich.

Anklagen im Zusammenhang mit dem Gaza- und dem Ukrainekrieg

In letz­ter Zeit hat der Inter­na­tio­na­le Straf­ge­richts­hof Haft­be­feh­le gegen rus­si­sche Staats­an­ge­hö­ri­ge erlas­sen sowie gegen Füh­rer der Hamas und israe­li­sche Staats­män­ner.

Wäh­rend der Hamas vor­ran­gig der Über­fall vom 7. Okto­ber 2023 auf Isra­el zur Last gelegt wird,[8] geht es bei den Ankla­gen gegen Isra­els Pre­mier­mi­nis­ter Ben­ja­min Net­an­ya­hu und sei­nen frü­he­ren Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter Yoav Gal­lant um Kriegs­ver­bre­chen und Ver­bre­chen gegen die Mensch­lich­keit im Gaza-Krieg.[9] In ihrer Ent­schei­dung vom 21. Novem­ber 2024 wies die Vor­ver­fah­rens­kam­mer I des Gerichts­hofs zunächst Anfech­tun­gen Isra­els gegen die Zustän­dig­keit und das Ver­fah­ren selbst zurück. Die Zustän­dig­keit ergibt sich bereits dar­aus, dass Paläs­ti­na das Rom-Sta­tut unter­zeich­net hat.

Sodann sieht die Kam­mer „hin­rei­chen­de Grün­de für die Annah­me, dass Herr Netan­ja­hu, gebo­ren am 21. Okto­ber 1949, Minis­ter­prä­si­dent Isra­els zur Zeit des betref­fen­den Ver­hal­tens, und Herr Gal­lant, gebo­ren am 8. Novem­ber 1958, zum Zeit­punkt des mut­maß­li­chen Ver­hal­tens Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter Isra­els, jeweils als Mit­tä­ter für die Bege­hung der Taten gemein­sam mit ande­ren straf­recht­lich ver­ant­wort­lich sind: das Kriegs­ver­bre­chen des Hun­gers als Metho­de der Kriegs­füh­rung; und die Ver­bre­chen gegen die Mensch­lich­keit wie Mord, Ver­fol­gung und ande­re unmensch­li­che Hand­lun­gen.“

„Die Kam­mer fand auch hin­rei­chen­de Grün­de für die Annah­me, dass Herr Netan­ja­hu und Herr Gal­lant als zivi­le Vor­ge­setz­te jeweils straf­recht­lich für das Kriegs­ver­bre­chen ver­ant­wort­lich sind, einen Angriff auf die Zivil­be­völ­ke­rung vor­sätz­lich gerich­tet zu haben.“[10]

„Die Kam­mer stell­te fest, dass es hin­rei­chen­de Grün­de für die Annah­me gibt, dass der Man­gel an Nah­rung, Was­ser, Strom und Treib­stoff sowie an spe­zi­fi­scher medi­zi­ni­scher Ver­sor­gung Lebens­be­din­gun­gen geschaf­fen hat, die geeig­net sind, die Zer­stö­rung eines Teils der Zivil­be­völ­ke­rung in Gaza her­bei­zu­füh­ren, was zum Tod von Zivi­lis­ten, ein­schließ­lich Kin­dern, auf­grund von Unter­ernäh­rung und Dehy­drie­rung führ­te.“

„Dar­über hin­aus sind die bei­den Per­so­nen durch die absicht­li­che Ein­schrän­kung oder Ver­hin­de­rung des Ein­drin­gens von medi­zi­ni­schen Hilfs­gü­tern und Medi­ka­men­ten, ins­be­son­de­re von Anäs­the­ti­ka und Nar­ko­se­ge­rä­ten, auch dafür ver­ant­wort­lich, dass sie durch unmensch­li­che Hand­lun­gen behand­lungs­be­dürf­ti­gen Per­so­nen gro­ßes Leid zufü­gen.“
 
In ihren wei­ter­ge­hen­den Aus­füh­run­gen weist die Kam­mer dar­auf hin, gegen wel­che kon­kre­ten Anfor­de­run­gen der Gen­fer Kon­ven­ti­on bzw. des Rom-Sta­tuts von den Ange­klag­ten ver­sto­ßen wur­de.

In sei­ner Erklä­rung vom 21. Novem­ber 2024 betont der Chef­an­klä­ger Karim A. A. Khan: „Bei mei­nen Begeg­nun­gen mit den Opfern und Ange­hö­ri­gen der Gei­sel­nah­men aus den Kib­bu­zim und mit den Opfern aus Gaza, die so vie­le gelieb­te Men­schen ver­lo­ren haben, habe ich unter­stri­chen, dass das Gesetz für alle da ist, dass sei­ne Auf­ga­be dar­in besteht, die Rech­te aller Men­schen zu ver­tei­di­gen.“[11]

Auch im rus­sisch-ukrai­ni­schen Krieg gibt es eine Viel­zahl von Mel­dun­gen über Ver­bre­chen gegen die Mensch­lich­keit und Kriegs­ver­bre­chen.[12] Am 17. März 2023 hat die Vor­ver­fah­rens­kam­mer II des Inter­na­tio­na­len Straf­ge­richts­hofs im Zusam­men­hang mit dem Krieg in der Ukrai­ne Haft­be­feh­le gegen Wla­di­mir Putin und Maria Lwo­wa-Belo­wa erlas­sen. „Die Vor­ver­fah­rens­kam­mer II ver­trat auf der Grund­la­ge der Anträ­ge der Staats­an­walt­schaft vom 22. Febru­ar 2023 die Auf­fas­sung, dass es hin­rei­chen­de Grün­de für die Annah­me gibt, dass jeder Ver­däch­ti­ge für das Kriegs­ver­bre­chen der rechts­wid­ri­gen Depor­ta­ti­on der Bevöl­ke­rung und des rechts­wid­ri­gen Trans­fers der Bevöl­ke­rung aus den besetz­ten Gebie­ten der Ukrai­ne in die Rus­si­sche Föde­ra­ti­on zum Nach­teil ukrai­ni­scher Kin­der ver­ant­wort­lich ist.“[13]

Im März 2024 wur­den außer­dem Haft­be­feh­le gegen rus­si­sche Offi­zie­re aus­ge­stellt wegen fort­dau­ern­der Angrif­fe auf Kraft­wer­ke in der Ukrai­ne.[14]

Im Okto­ber 2024 wur­de vom UN-Men­schen­rechts­rat der Bericht der Unab­hän­gi­gen inter­na­tio­na­len Unter­su­chungs­kom­mis­si­on zur Ukrai­ne bekannt, wonach rus­si­sche Behör­den die Fol­te­rung von ukrai­ni­schen Zivi­lis­ten und Kriegs­ge­fan­ge­nen betrie­ben haben.” Daher haben sie, zusätz­lich zu Fol­ter als Kriegs­ver­bre­chen, Fol­ter auch als Ver­bre­chen gegen die Mensch­lich­keit ver­übt“.[15]

Das Humanitäre Völkerrecht muss umgesetzt werden

Die Ankla­gen und die vor­lie­gen­den Haft­be­feh­le zei­gen, dass Kriegs­hand­lun­gen an den Vor­ga­ben des huma­ni­tä­ren Völ­ker­rechts gemes­sen wer­den. Die Men­schen­rech­te wur­den von unse­ren Gesell­schaf­ten als ver­bind­lich ver­ab­schie­det. Und wenn der Krieg „die blo­ße Fort­set­zung der Poli­tik mit ande­ren Mit­teln“[16] ist, dann müs­sen die Men­schen­rech­te auch im Krieg gel­ten und ein­ge­klagt wer­den.

Der EU-Außen­be­auf­trag­te Josep Bor­rell hat alle Mit­glieds­län­der auf­ge­ru­fen, den inter­na­tio­na­len Haft­be­fehl gegen Isra­els Regie­rungs­chef Ben­ja­min Net­an­ya­hu und ande­re Ver­ant­wort­li­che zu ach­ten. Die Ent­schei­dung des Inter­na­tio­na­len Straf­ge­richts­hofs (IStGH) in Den Haag sei rechts­ver­bind­lich, sag­te Bor­rell. Alle EU-Staa­ten sei­en als Ver­trags­par­tei­en „ver­pflich­tet, die Gerichts­ent­schei­dung umzu­set­zen“.[17] Das fällt man­chem Poli­ti­ker und auch man­chen Freun­den Isra­els in Deutsch­land schwer. So hat Mar­kus Söder im Novem­ber vor der Rats­ver­samm­lung des Zen­tral­rats der Juden erklärt: „Ich fin­de es befremd­lich, wenn der Inter­na­tio­na­le Straf­ge­richts­hof Isra­el und die Hamas gleich­setzt. Der Straf­ge­richts­hof hat sich mas­siv selbst beschä­digt.“[18] Und: „Ich hiel­te es für absurd, wenn auf deut­schem Boden der Regie­rungs­chef von Isra­el ver­haf­tet wer­den wür­de.“ Die­se Form von Nibe­lun­gen­treue ver­kennt, dass die Soli­da­ri­tät mit dem Staat Isra­el als sol­chem und mit dem israe­li­schen Volk nicht bedeu­tet, dass man alle Ent­schei­dun­gen und alle Aktio­nen des Staa­tes zu akzep­tie­ren hat. Es dient den Inter­es­sen Isra­els, wenn es in die Schran­ken der Men­schen­rech­te, hier des Huma­ni­tä­ren Völ­ker­rechts, ver­wie­sen wird.

Und noch etwas Wich­ti­ges wird hier über­se­hen: Ein Haft­be­fehl ist noch kei­ne Ver­ur­tei­lung, wie auch Art. 11 der All­ge­mei­nen Erklä­rung der Men­schen­rech­te besagt: „Jeder Mensch, der einer straf­ba­ren Hand­lung beschul­digt wird, ist so lan­ge als unschul­dig anzu­se­hen, bis sei­ne Schuld in einem öffent­li­chen Ver­fah­ren, in dem alle für sei­ne Ver­tei­di­gung nöti­gen Vor­aus­set­zun­gen gewähr­leis­tet waren, gemäß dem Gesetz nach­ge­wie­sen ist.“

Herr Söder und wir alle könn­ten Herrn Netan­ja­hu in sei­ner Ver­tei­di­gung bei­sprin­gen, wenn wir von sei­ner Unschuld über­zeugt sind, aber wir müs­sen das ordent­li­che Ver­fah­ren akzep­tie­ren.

Und dann stellt sich noch eine Fra­ge: Ist der Fall des Dik­ta­tors Wla­di­mir Putin anders zu sehen als der des israe­li­schen Pre­miers? Nein. Deutsch­land sei ver­pflich­tet, die Haft­be­feh­le gegen Wla­di­mir Putin und Ben­ja­min Netan­ja­hu gleich­zu­be­han­deln, schreibt die Süd­deut­sche Zei­tung am 6. Dezem­ber 2024.[19] „Sonst droht schwe­rer Scha­den.“


[1] Alle Kon­ven­tio­nen und Zusatz­ab­kom­men fin­den sich unter Huma­ni­tä­res Völ­ker­recht: Gen­fer Kon­ven­tio­nen
[2] Carl Lue­der, Krieg und Kriegs­recht im All­ge­mei­nen, in: Franz von Holt­zen­dorff (Hrsg.), Hand­buch des Völ­ker­rechts, Bd. 4, Ham­burg 1889, S. 174–194, hier S. 193.
[3] Huma­ni­tä­res Völ­ker­recht in bewaff­ne­ten Kon­flik­ten
[4] Nur in Arti­kel 3 geht es um Kon­flik­te, in denen auch nicht­staat­li­che Akteu­re invol­viert sind. Für die­se gel­ten die in dem Arti­kel ange­ge­be­nen Min­dest­stan­dards. Ansons­ten bezie­hen sich die vier Abkom­men im Kern auf zwi­schen­staat­li­che Kon­flik­te, set­zen also eine sta­bi­le recht­li­che Umge­bung für die Umset­zung der völ­ker­recht­li­chen Nor­men vor­aus. Für nicht-inter­na­tio­na­le Krie­ge, in denen auch nicht­staat­li­che Akteu­re betei­ligt sind, gel­ten neben dem hier auf­ge­führ­ten Art. 3 auch die erwei­ter­ten huma­ni­tä­ren Fest­le­gun­gen aus dem zwei­ten Zusatz­pro­to­koll von 1977. 
[5] Johan­nes Pie­pen­brink in Edi­to­ri­al | Gen­fer Kon­ven­tio­nen | bpb.de, 18.7.2024
[6] Die BRD hat z. B. die Gen­fer Kon­ven­tio­nen in ihrem Völ­ker­straf­ge­setz­buch berück­sich­tigt (Bun­des­ge­setz­blatt BGBl. Online-Archiv 1949 – 2022 | Bun­des­an­zei­ger Ver­lag)
[7] Römi­sches Sta­tut des Inter­na­tio­na­len Straf­ge­richts­hofs – Wiki­pe­dia
[8] In Bezug auf Moham­med Diab Ibra­him Al-Mas­ri, bes­ser bekannt als Deif, Ober­be­fehls­ha­ber des mili­tä­ri­schen Flü­gels der Isla­mi­schen Wider­stands­be­we­gung „„Hamas“”, hät­ten die Rich­ter des Inter­na­tio­na­len Straf­ge­richts­hofs hin­rei­chen­de Grün­de für die Annah­me gefun­den, dass er für Ver­bre­chen wie Mord, Aus­rot­tung, grau­sa­me Behand­lung, Fol­ter, Ver­ge­wal­ti­gung und ande­re For­men sexu­el­ler Gewalt, Gei­sel­nah­me, Ver­let­zung der per­sön­li­chen Wür­de ver­ant­wort­lich sei. (Chef­an­klä­ger Karim A..A. Kahn in State­ment of ICC Pro­se­cu­tor Karim A.A. Khan KC on the issu­an­ce of arrest war­rants in the Situa­ti­on in the Sta­te of Pal­es­ti­ne | Inter­na­tio­nal Cri­mi­nal Court )
[9] Situa­ti­on in the Sta­te of Pal­es­ti­ne: ICC Pre-Tri­al Cham­ber I rejects the Sta­te of Israel’s chal­lenges to juris­dic­tion and issues war­rants of arrest for Ben­ja­min Net­an­ya­hu and Yoav Gal­lant | Inter­na­tio­nal Cri­mi­nal Court
[10] eben­da
[11] State­ment of ICC Pro­se­cu­tor Karim A.A. Khan KC on the issu­an­ce of arrest war­rants in the Situa­ti­on in the Sta­te of Pal­es­ti­ne | Inter­na­tio­nal Cri­mi­nal Court
[12] Sie­he z. B. Kriegs­ver­bre­chen im Rus­sisch-Ukrai­ni­schen Krieg – Wiki­pe­dia
[13] Situa­ti­on in Ukrai­ne: ICC jud­ges issue arrest war­rants against Vla­di­mir Vla­di­mi­ro­vich Putin and Maria Alek­seyev­na Lvo­va-Bel­o­va | Inter­na­tio­nal Cri­mi­nal Court
[14] State­ment by Pro­se­cu­tor Karim A.A. Khan KC on the issu­an­ce of arrest war­rants in the Situa­ti­on in Ukrai­ne | Inter­na­tio­nal Cri­mi­nal Court
[15] Ukrai­ne: Tor­tu­re by Rus­si­an aut­ho­ri­ties amounts to cri­mes against huma­ni­ty, says UN Com­mis­si­on of Inquiry | OHCHR
[16] Erkennt­nis des preu­ßi­schen Gene­rals und Mili­tär­theo­re­ti­kers Carl von Clau­se­witz
[17] Ben­ja­min Net­an­ya­hu: Josep Bor­rell ruft zur Ein­hal­tung des Haft­be­fehls auf – DER SPIEGEL
[18] Mar­kus Söder übt schar­fe Kri­tik am Haft­be­fehl gegen Isra­els Pre­mier Netan­ja­hu | Jüdi­sche All­ge­mei­ne
[19] Die­ser Haft­be­fehl gegen Netan­ja­hu ist ein Test für das Völ­ker­recht – Mei­nung – SZ.de

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