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Schwangerschaftsabbruch

Genug diskutiert – jetzt muss gehandelt werden

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Bild aus dem Bundesarchiv: Demonstration gegen § 218 StGB, Juni 1988 in Göttingen.
Erwin Kress und Katrin Raczynski nehmen Stellung zu den Ergebnissen der Regierungskommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin. Sie erwarten von der Politik, dass die Kommissionsempfehlung, Schwangeren in der ersten Phase der Schwangerschaft einen straffreien Abbruch zu ermöglichen, zügig umgesetzt wird.

Zwei Berich­te sind in den letz­ten Tagen zum The­ma Schwan­ger­schafts­ab­bruch erschie­nen.

Die von der Ampel­ko­ali­ti­on im letz­ten Jahr ein­ge­setz­te Kom­mis­si­on zur repro­duk­ti­ven Selbst­be­stim­mung und Fort­pflan­zungs­me­di­zin hat ihre Unter­su­chungs­er­geb­nis­se vor­ge­stellt.

Gleich­zei­tig wur­den ers­te Ergeb­nis­se der soge­nann­ten ELSA-Stu­die prä­sen­tiert, die im Auf­trag der Bun­des­re­gie­rung seit 2020 zu „Erfah­run­gen und Lebens­la­gen unge­wollt Schwan­ge­rer – Ange­bo­te der Bera­tung und Ver­sor­gung“ geforscht hat. Die bis­lang vor­lie­gen­den Stu­di­en­ergeb­nis­se bestä­ti­gen, dass sich alle befrag­ten Frau­en stig­ma­ti­siert füh­len, sie haben ange­sichts gesell­schaft­li­cher Erwar­tun­gen ein Gefühl von Schuld.1 Schuld dar­an sind nicht nur die soge­nann­ten Geh­steig­be­läs­ti­gun­gen durch aggres­si­ve selbst­er­nann­te Lebens­schüt­zer.

In ers­ter Linie ver­ant­wort­lich für Schuld­ge­füh­le bei unge­wollt schwan­ge­ren Frau­en, die einen Abbruch vor­neh­men wol­len, ist die bestehen­de Geset­zes­la­ge. Gemäß § 218 StGB sind Schwan­ger­schafts­ab­brü­che grund­sätz­lich rechts­wid­rig und damit straf­bar. Aus­nah­men bil­den Abbrü­che auf­grund medi­zi­ni­scher Indi­ka­ti­on. Abbrü­che in den ers­ten zwölf Schwan­ger­schafts­wo­chen wer­den nicht bestraft, wenn ihnen eine Pflicht­be­ra­tung vor­an­ge­gan­gen ist und danach eine drei­tä­gi­ge War­te­frist ein­ge­hal­ten wur­de.

Als wei­te­re Belas­tun­gen für unge­wollt schwan­ge­re Frau­en kom­men eine vie­ler­orts schlech­te medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung und bis­wei­len auch finan­zi­el­le Pro­ble­me hin­zu.

Um die Lage für unge­wollt Schwan­ge­re grund­le­gend zu ver­bes­sern, hat die Ampel­ko­ali­ti­on einer hoch­ka­rä­tig besetz­ten Kom­mis­si­on unter ande­rem die Fra­ge gestellt, wie das The­ma Schwan­ger­schafts­ab­bruch außer­halb des Straf­rechts gere­gelt wer­den kann. Die neun Pro­fes­so­rin­nen, die für die­se Unter­su­chung ver­ant­wort­lich waren, kamen aus den Berei­chen Medi­zin, Ethik und Recht. Sie haben in ihre Unter­su­chun­gen Stel­lung­nah­men von rele­van­ten Ver­bän­den der Zivil­ge­sell­schaft ein­ge­holt und Anhö­run­gen durch­ge­führt. Auch unser Ver­band war dabei ein­be­zo­gen. Die jetzt von der Kom­mis­si­on vor­ge­leg­ten Emp­feh­lun­gen spie­geln nicht nur gesell­schaft­li­che Ein­stel­lun­gen wider. Sie zeich­nen sich ins­be­son­de­re durch eine sehr gründ­li­che Abwä­gung der recht­li­chen Aus­gangs­si­tua­tio­nen und der Mög­lich­kei­ten des Gesetz­ge­bers aus.

Die aktu­el­le Rechts­la­ge ist dadurch geprägt, dass dem Unge­bo­re­nen ab Ein­nis­tung in die Gebär­mut­ter vom Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt ein unbe­schränk­ter Lebens­schutz nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ein­ge­räumt wur­de, das der Gesetz­ge­ber zu beach­ten hat­te. Dahin­ter ste­hen gesell­schaft­lich vor allem reli­giö­se Vor­stel­lun­gen von Besee­lung bzw. Got­tes­eben­bild­lich­keit, die den Embryo/Fetus sakro­sankt mach­ten. Der Kom­mis­si­ons­be­richt geht zwar auf die Ideen- und Rechts­ge­schich­te zum Schwan­ger­schafts­ab­bruch ein. Dem Unge­bo­re­nen kann aber bei dif­fe­ren­zier­ter Betrach­tung von Ver­fas­sung und Grund­ge­setz nicht bereits ab Ein­nis­tung ein unbe­grenz­ter Schutz gewährt wer­den. So arbei­tet es die Kom­mis­si­on her­aus.

Die Kom­mis­si­on sieht Schutz­rech­te für das unge­bo­re­ne Leben von Beginn an, setzt die­se aber gerin­ger an als die eines lebens­fä­hi­gen Fetus oder eines Neu­ge­bo­re­nen.

„In der Abwä­gung mit den Grund­rech­ten der Schwan­ge­ren spricht viel dafür, dass das Lebens­recht des Embryos/Fetus mit gerin­ge­rem Gewicht zum Tra­gen kommt als beim gebo­re­nen Men­schen. Erst ab Lebens­fä­hig­keit ex ute­ro gewährt Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG2 für den Fetus star­ken Schutz, der dem Lebens­recht des gebo­re­nen Men­schen nahe­kommt. Ab der Geburt ent­fal­tet Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG umfas­sen­den Schutz.“3

„Bei die­ser grund­recht­li­chen Kon­flikt­la­ge haben die Belan­ge des Embryos/Fetus in der Früh­pha­se der Schwan­ger­schaft grund­sätz­lich Nach­rang gegen­über den Grund­rech­ten der Schwan­ge­ren. In den ers­ten Wochen nach Nida­ti­on hat das Lebens­recht des Embryos/Fetus gerin­ges Gewicht. Gleich­zei­tig genießt das Ver­lan­gen der Frau nach einer Been­di­gung der Schwan­ger­schaft star­ken grund­recht­li­chen Schutz.“4

Mit die­ser Auf­fas­sung ergibt sich für die Kom­mis­si­on zwei­fels­frei, dass der Gesetz­ge­ber im ers­ten Teil der Schwan­ger­schaft den Frau­en straf­frei den Abbruch gestat­ten muss und hier das Straf­recht nichts zu suchen hat. Die­se Ein­schät­zung und Emp­feh­lung für den ers­ten Teil der Schwan­ger­schaft dürf­te in der Gesell­schaft gro­ße Zustim­mung fin­den, bis weit hin­ein in reli­giö­se Milieus. Das Schuld­ge­fühl unge­wollt Schwan­ge­rer, die einen Abbruch pla­nen, und die schlech­te Ver­sor­gungs­la­ge soll­ten Grund dafür sein, dass der Gesetz­ge­ber hier schnell Kon­se­quen­zen zieht, den Schwan­ger­schafts­ab­bruch im ers­ten Teil der Schwan­ger­schaft lega­li­siert und für aus­rei­chen­de medi­zi­ni­sche und finan­zi­el­le Mög­lich­kei­ten zur Umset­zung sorgt.

Hier unter­stüt­zen wir auch den Auf­ruf von Terre des Femmes und ande­ren Ver­bän­den zur schnel­len Umset­zung die­ser Kom­mis­si­ons­emp­feh­lung.

Rechte des lebensfähigen Fetus

Die akti­vis­ti­schen For­de­run­gen „Weg mit § 218“ oder auch „Frau­en kön­nen allei­ne ent­schei­den, ob sie eine Schwan­ger­schaft abbre­chen wol­len oder nicht“ grei­fen zu kurz. Die Pro­ble­ma­ti­ken am Ende der Schwan­ger­schaft wer­den dabei über­se­hen. Unser Ver­band hat­te in sei­nem State­ment zum Schwan­ger­schafts­ab­bruch von 2022, in sei­ner Stel­lung­nah­me an die Kom­mis­si­on und bei der Anhö­rung dar­auf hin­ge­wie­sen, dass es am Ende der Schwan­ger­schaft unge­re­gel­te Ver­hält­nis­se im Hin­blick auf embryo­pa­thi­sche Indi­ka­tio­nen gibt. Hier­bei geht es nur mit­tel­bar um ein Lei­den der Schwan­ge­ren. Es geht um die Fra­ge, unter wel­chen Bedin­gun­gen das aus­zu­tra­gen­de Kind wird leben kön­nen oder müs­sen. Unse­re Auf­fas­sung steht hier im Gegen­satz zu Posi­tio­nen, die Unge­bo­re­nen kei­ner­lei Rech­te zuer­ken­nen, son­dern Grund­rechts­schutz erst für das neu­ge­bo­re­ne Kind vor­se­hen.5 Eine sol­che ethisch ver­kürz­te Posi­ti­on wider­spricht dem Emp­fin­den in der Bevöl­ke­rung und ins­be­son­de­re dem Emp­fin­den der meis­ten Schwan­ge­ren6, die in einem Spät­sta­di­um der Schwan­ger­schaft vor der Ent­schei­dung zu einem Abbruch ste­hen. Auf die Pro­ble­ma­tik des Grund­rechts­schut­zes für den über­le­bens­fä­hi­gen Fetus weist nun auch die Kom­mis­si­on in ihrem Bericht hin: Dem lebens­fä­hi­gen Fetus müs­sen eigen­stän­di­ge Rech­te ein­ge­räumt wer­den. Die­se müs­sen sich auch im Schwan­ger­schafts­recht nie­der­schla­gen. In die­sem Zusam­men­hang heißt es im Bericht:

In der letz­ten Schwan­ger­schafts­pha­se „gilt Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG mit star­kem Schutz, der dem des gebo­re­nen Men­schen nahe­kommt. Dem­ge­gen­über haben die grund­recht­lich geschütz­ten Belan­ge der Schwan­ge­ren mit Blick auf die bereits lan­ge wäh­ren­de Dau­er der Schwan­ger­schaft ein ver­gleichs­wei­se gerin­ges Gewicht.“ Im bis­he­ri­gen Schwan­ger­schafts­recht gibt es die Ver­bots­aus­nah­me im Fal­le einer medi­zi­ni­schen Indi­ka­ti­on, wenn die Fort­set­zung der Schwan­ger­schaft für die Schwan­ge­re akut lebens- oder gesund­heits­be­dro­hend ist. Davon unter­schie­den wer­den müs­sen aber Kon­stel­la­tio­nen, bei denen es um „Belas­tun­gen durch die post­na­ta­le Exis­tenz des Kin­des, also aus der Ver­ant­wor­tung für das Kind nach der Geburt“ geht. „Sol­che Belas­tun­gen kön­nen ins­be­son­de­re bei einem prä­na­tal­dia­gnos­tisch auf­fäl­li­gen embryo- bzw. fetopa­thi­schen Befund ent­ste­hen.“

Ein embryo- bzw. fetopa­thisch moti­vier­ter Schwan­ger­schafts­ab­bruch wird bis­lang vom Gesetz­ge­ber nicht aus­drück­lich gere­gelt. Es gibt kei­ne gesetz­li­chen Kri­te­ri­en für die Beur­tei­lung eines Schwan­ger­schafts­ab­bruchs in einem sol­chen Fall.7 Dies stellt die Schwan­ge­re und medi­zi­nisch und/oder psy­cho­lo­gisch und ethisch Betei­lig­te mit­un­ter vor gro­ße Pro­ble­me.

Der Gesetz­ge­ber soll­te die­se Pro­blem­la­gen über­den­ken und die medi­zi­ni­sche Indi­ka­ti­on ein­schließ­lich der Fäl­le prä­na­tal­dia­gnos­tisch auf­fäl­li­ger Befun­de neu regeln. Dabei wird er auch zu erwä­gen haben, ob er den Schwan­ger­schafts­ab­bruch bei einem embryo- bzw. fetopa­thi­schen Befund wie­der als eigen­stän­di­gen (Erlaubnis-)Tatbestand regelt. Dies wirft unter ande­rem die Fra­ge auf, ob ein sol­cher­ma­ßen begrün­de­ter Schwan­ger­schafts­ab­bruch mit dem Ver­bot der Dis­kri­mi­nie­rung wegen einer Behin­de­rung aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG ver­ein­bar ist.

Die Dis­kus­si­on über die­se Pro­ble­ma­tik lässt sich sicher nicht schnell zu einem Ergeb­nis brin­gen, aber sie muss geführt wer­den. Dabei spie­len einer­seits PID-Ergeb­nis­se eine Rol­le, sons­ti­ge medi­zi­ni­sche Beob­ach­tun­gen und natür­lich auch Fra­gen, wie erwart­ba­re Behin­de­run­gen und Ein­schrän­kun­gen des Lebens des Fetus zu wer­ten sind. Dies ist auch abhän­gig von der Fra­ge, wie die Gesell­schaft mit ent­spre­chen­den Ein­schrän­kun­gen umgeht, wel­chen Platz sie der nöti­gen Für­sor­ge ein­räumt.

Was jetzt zu tun ist

Die Lösung der zuletzt genann­ten Pro­ble­me darf den Gesetz­ge­ber nicht davon abhal­ten, das anzu­pa­cken und zu lösen, was ohne Wei­te­res mög­lich ist. Das betrifft zunächst die Libe­ra­li­sie­rung der Schwan­ger­schafts­ab­brü­che in den ers­ten zwölf8 Wochen der Schwan­ger­schaft. Der gesell­schaft­li­che Kon­sens dazu dürf­te inzwi­schen groß sein9 und wird bei ent­spre­chen­der Auf­klä­rung wei­ter­wach­sen. Dass das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt ein wei­te­res Mal einen unbe­grenz­ten Lebens­schutz für den Embryo for­dern wird, ist nicht zu erwar­ten. Zu den kurz­fris­tig not­wen­di­gen und rea­li­sier­ba­ren Maß­nah­men gehö­ren die Ver­bes­se­rung der Ver­sor­gungs­la­ge im Hin­blick auf den Abbruch selbst und das bereits ange­dach­te Ver­bot soge­nann­ter Geh­steig­be­läs­ti­gun­gen. Bei der Ver­bes­se­rung der Ver­sor­gungs­la­ge ist auch an die Kos­ten­über­nah­me zu den­ken, zumin­dest bei sozia­ler Not­la­ge, und an die Sicher­stel­lung einer aus­rei­chen­den medi­zi­ni­schen Aus­bil­dung.

[1] Frau tv: Ergeb­nis­se der ELSA-Stu­die: Wie sind die Erfah­run­gen und Lebens­la­gen unge­wollt Schwan­ge­rer? | ARD Media­thek

[2] „Jeder hat das Recht auf Leben und kör­per­li­che Unver­sehrt­heit.“

[3] Kom­mis­si­ons­be­richt S. 245

[4] Kom­mis­si­ons­be­richt S. 246

[5] Eine sol­che Posi­ti­on wird bei­spiels­wei­se vom Insti­tut für Welt­an­schau­ungs­recht der Giord­a­no Bru­no Stif­tung ver­tre­ten, wo ledig­lich bei einer vor­ge­burt­li­chen Tötung des Fetus Rück­sicht auf eine vor­han­de­ne Schmerz­emp­find­lich­keit ver­langt wird.

[6] In der Regel auch deren Part­nern. Das Kind hat hier übli­cher­wei­se bereits einen „Namen“, es gibt Kon­tak­te zu ihm …

[7] Lei­der wer­den die­se Fäl­le bis­lang auch nicht sta­tis­tisch erfasst.

[8] Nach unse­rer Auf­fas­sung ist die­ser Zeit­raum, unter­setzt durch den wis­sen­schaft­li­chen For­schungs­stand zur Emp­fin­dungs­fä­hig­keit von Embryonen/Feten, durch­aus um eini­ge Wochen ver­län­ger­bar, etwa bis zur 20. Woche.

[9] Sie­he Umfra­gen:
Der Tag: Deut­li­che Mehr­heit ist für Straf­frei­heit bei Abtrei­bun­gen | n‑tv.de
Umfra­ge Dezem­ber 2022: 83 Pro­zent der Bevöl­ke­rung spre­chen sich für Ent­kri­mi­na­li­sie­rung des Schwan­ger­schafts­ab­bruchs aus | Bünd­nis für sexu­el­le Selbst­be­stim­mung
Gro­ße Mehr­heit: Abtrei­bung soll kei­ne Straf­tat sein | Die Tages­post

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