Staatskirchenrecht, Ablösung von Staatsleistungen, kirchliches Arbeitsrecht etc. – Sind das die Themen, die die Bevölkerung und uns aktuell umtreiben? Der aktuelle Wahlkampf soll nach Ansicht der Oberpopulisten und Rechtsextremen vom Thema Migration beherrscht werden. Daneben dringen die Themen Wirtschafts- und Sozialpolitik gelegentlich durch, ganz schwer hat es das Thema Klimapolitik.
Von der tatsächlichen Bedrohung her müsste die Reihenfolge umgekehrt sein. Jedes weitere Versäumnis im Bereich Klimapolitik wird auf uns zukommende einschneidende Veränderungen unserer Lebensbedingungen verschärfen. Die Klimaprognosen liegen seit langem auf dem Tisch, drastische Klimaänderungen sind für alle sichtbar und werden für alle Menschen auf der Welt schreckliche Folgen haben. Wenn bei unseren europäischen Mittelmeeranrainern Wassermangel, Dürre und Brände weiter zunehmen, dann sind es die Menschen von dort, die nordwärts ziehen. Aus dem Westen kommen die Niederländer*innen. Und wir werden die Auswirkungen in Form von Beeinträchtigung der Landwirtschaft spüren, von zunehmenden Hochwasserereignissen, von Hitzetoten. Sollten wir also nicht besser fragen, welche Parteien bereit sind, etwas zum Schutz vor schädlichen Klimaänderungen zu tun und zu einem Abbremsen der Entwicklung?
Die soziale Ungleichheit in unserem Land nimmt zu, das Bildungssystem wird von Jahr zu Jahr schlechter, die Versorgung mit Kita- und Kindergartenplätzen ebenso. Unser Gesundheitssystem krankt, unsere Verkehrsinfrastruktur ist kaputtgespart. Wo ist die Scham über das, was uns jahrzehntelang von diversen Regierungen mit unterschiedlichen Koalitionen eingebrockt wurde, was Neoliberalismus im Markt umverteilt hat? Wer war da eigentlich beteiligt in den letzten 40 Jahren? Wer hat privatisiert auf Teufel komm raus, wer hat alle Schranken für Kapitalströme auf der Suche nach Profit abgebaut, gegen jeden sachverständigen Rat? Wer hat die Kosten verstaatlicht, wenn es schiefging? Und jetzt wissen die alten Verantwortlichen plötzlich, wie es besser geht? Sollten wir nicht fragen, was uns hier vorgegaukelt wird?
Der Markt macht’s? Im großen Maßstab hat die neoliberale Marktentfesselung nur gesellschaftlichen Reichtum in die privaten Taschen weniger umverteilt. Sollten wir also nicht fragen, wo bei den Parteien neue Konzepte zur Behebung dieser negativen Entwicklung zu finden sind, Konzepte, die nicht aufwärmen, was vorgestern schon nicht funktioniert hat? Sollten wir nicht fragen, welche Parteien bzw. Politiker*innen eine ernsthafte tiefergehende Debatte über unsere Zukunft in der Gesellschaft zu organisieren willens und fähig sind? Wer das Nachdenken nicht verweigert, dem muss klar sein, dass Konzepte, die Deutschland vor hundert Jahren schon zugrunde gerichtet oder England durch den Brexit fürchterlich geschadet haben, keine Alternative sind.
Die Migrant*innen sind an allem schuld? Körperverletzungen, Morde und Totschläge sind schlimm. 2.800 Fälle von Mord und Totschlag haben wir pro Jahr, davon ca. 400 von Zugewanderten[1] (lt. Polizeistatistik) begangen. Bei den 150.000 Fällen von gefährlichen und schweren Körperverletzungen werden 20.000 Zugewanderten zugerechnet. Die Anteile sind hoch, keine Frage, aber wir tun unseren Teil dazu – durch ein miserables Asyl-Prüfungssystem, durch miserable Unterkunfts- und Arbeitszugangsregelungen, völlig inkonsequente Rückweiseregelungen und ähnliches Versagen. Deutschland braucht keine „Remigration“, sondern eine humane Willkommenskultur, schon aus Gründen der Bevölkerungsentwicklung. Nur auf dieser Basis können wir uns dann von solchen trennen, die nicht bereit sind, mit uns Freiheit und Gleichheit zu leben. Gibt es Politiker*innen und Parteien, die hier zu kluger Politik bereit und in der Lage sind? Gibt es noch welche, die sich schämen, wie unser Land inzwischen mit der Not Schutzsuchender umgeht? Als Humanist*innen, die um ein menschenwürdiges Leben für alle und eine erträgliche Zukunft besorgt sind, finden wir leider nicht auf alle unsere Fragen gute Antworten. Diese Antworten kommen nicht von allein. Erstmal suchen wir Menschen nach bequemeren Wegen und scheinbar wohlfeilen Konzepten. Es liegt an uns, mit richtigen Analysen nach humanen und zukunftsträchtigen Lösungen zu suchen, darüber aufzuklären und dafür zu streiten. Jeden Tag aufs Neue, jedem Rückschlag zum Trotz.
[1] Zugewanderte werden in der Polizeilichen Kriminalstatistik mit Aufenthaltsanlass „Asylbewerber“, „Schutz- und Asylberechtigte, Kontingentflüchtlinge“ „Duldung“ oder „unerlaubter Aufenthalt“ registriert.
1 Kommentar zu „Worauf es ankommt“
Dieser Tage fand ich einen Klartext bei Facebook:
„Die Zeit fossiler Energien ist vorbei. Die Zukunft ist klimaneutral, oder sie ist überhaupt nicht.”
Unglaublich, welcher Art die Kommentare darunter waren. Es ist völlig sinnlos mit Leuten zu diskutieren, die nicht bereit sind, Vorgänge zu Ende zu denken. Von daher verfängt auch nicht die Idee, die Leute mit Argumenten zu stellen. Sie leben in einer Parallelwelt mit alternativen Fakten.