Das derzeit dominierende Thema in der Gesellschaft ist ohne Frage die weltweit grassierende COVID-19-Pandemie. Dies spiegelt sich auch in der Themenauswahl für unser neues Format „Digitale Stunde“ wider. Bei der Auftaktveranstaltung im Januar sprach der Darmstädter Mathematiker Dr. Gerd Mitschke beispielsweise anschaulich unterhaltsam über Exponentielles Wachstum. Anhand verständlicher Beispiele zeigte er, wie schwer es dem menschlichen Geist fällt, große Zahlen und exponentielles Wachstum zu erfassen, obwohl diese Fähigkeiten zum Verständnis des Pandemiegeschehens immens wichtig sind. Bei der zweiten „Digitalen Stunde“ im Februar warf Hans-Joachim Weller in einem philosophischen Vortrag die Frage auf, inwiefern bisherige Formen der Ethik in einer zunehmend komplexen Gesellschaft funktionieren, und wie eine neue Ethik, welche den modernen Humanismus und die Nachhaltigkeit im Mittelpunkt hat, aussehen könnte.
Im März war ich selbst an der Reihe und gestaltete die dritte digitale Veranstaltung: Ich nahm die Teilnehmer mit auf eine Reise in die Welt der Verschwörungsmythen. Als Bioinformatiker und Skeptiker beobachte ich die mittelhessische Verschwörungsszene seit Jahren und konnte so einen guten Einblick in die Thematik geben. Viele Teilnehmer waren verblüfft, in welchem Umfang lokale Gruppierungen in Hessen Verschwörungsmythen verbreiten. Dabei reicht das Spektrum der irrationalen Denkmuster von Absurditäten wie der gefälschten Mondlandung oder „Chemtrails“ – dem Glauben, dass Verkehrsflugzeuge über uns Chemikalien versprühen – bis zu unmittelbar gefährlichen Umtrieben wie dem Glauben an eine jüdische Weltverschwörung oder der Ablehnung von Impfungen. Bei der Themenauswahl und Gestaltung meines Vortrags war mir die Förderung einer faktenbasierten Weltsicht wichtig: Es ging es darum, auf unterhaltsame Weise die Absurdität verbreiteter Verschwörungsmythen darzustellen, aber auch Wachsamkeit in Bezug auf die zunehmende Akzeptanz solcher Narrative zu wecken.
Aus der Diskussion im Anschluss an diesen Vortrag ergab sich das Thema für die vierte „Digitale Stunde“ im April: Impfungen. Obwohl keine medizinische Errungenschaft in der Geschichte der Menschheit mehr Menschenleben gerettet hat als Impfungen, werden diese seit der Jahrtausendwende zunehmend kritisch betrachtet, zum großen Teil basierend auf Fehlinformationen, die über die sozialen Netzwerke verbreitet werden. Insbesondere den zum Schutz vor COVID-19 in Rekordzeit entwickelten neuartigen mRNA-Impfstoffen schlägt Skepsis und Sorge entgegen. Inhalt meines Vortrags im April war daher, wie die mRNA-Impfstoffe grundlegend funktionieren und wie die Entwicklung in Rekordzeit möglich war. Thematisiert habe ich außerdem weitverbreitete Befürchtungen wie die einer angeblich drohenden Erbgutveränderung, Unfruchtbarkeit oder unabwägbare Langzeitfolgen. Menschen fürchten sich vor Dingen, die sie nicht verstehen, daher lag mein Fokus auf der Erklärung des Grundprinzips der neuen Impfstoffe, um so diesbezügliche Ängste und Sorgen abzubauen.
Zukunft der Digitalen Stunde
Obwohl unsere Veranstaltungsreihe erst im Januar ihren Auftakt hatte, hat sich das Konzept aus Input und einer anschließenden Diskussion mit Fragen und Raum für weitere Impulse bereits jetzt bei unseren Mitgliedern bewährt – und die Vorträge werden erfreulicherweise auch zunehmend von Nicht-Mitgliedern wahrgenommen, die teils auch aus anderen Bundesländern oder sogar aus dem Ausland stammen. Das zeigt der Stärken des digitalen Formats: die Abkopplung von einem lokalen Publikum, wobei die Mobilisierung von Zuhörern stark von einer Verbreitung über Social-Media-Kanäle profitiert. Zum Erfolg des Formats trägt sicherlich auch bei, dass durch die COVID-19-Pandemie das Format der Videokonferenz breiten Einzug in den Arbeitsalltag vieler Menschen gehalten hat, so dass die Hemmschwelle zur Teilnahme an solch digitalen Formaten gesunken ist. Dennoch ist es wichtig, die „digitalen Hürden“ möglichst gering zu halten. Wir setzen daher auf das Open-Source-Webkonferenzsystem „BigBlueButton“. Dieses hat den Vorteil, dass es in allen aktuellen und relevanten Browsern läuft, ohne dass ein Browser-Plugin benötigt wird oder eine Software installiert werden müsste.
Eine weitere Stärke ist es, dass wir in einem digitalen Format viel unmittelbarer auf aktuelle Themen, Entwicklungen und Debatten eingehen können. Auch wenn es für die Veranstaltung von digitalen Formaten natürlich ebenfalls Wissen, Recherche und Vorbereitung braucht, kann dennoch spontaner und unabhängig zum Beispiel von realen Veranstaltungsorten reagiert werden. Aufgrund der Stärken des Formats ist fest eingeplant, die „Digitale Stunde“ auch dann fortzusetzen, wenn wieder Präsenzveranstaltungen möglich sein werden. Geplant sind in den kommenden Monaten u.a. eine Infoveranstaltung zum Thema Patientenverfügung sowie ein Vortrag zum Begriff der naturwissenschaftlichen Theorie am Beispiel des astronomischen Weltbildes. Alle Informationen zu den Terminen der „Digitalen Stunde“ sind hier zu finden: www.humanisten-hessen.de/digitale-stunde/