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Recht auf Suizidhilfe

Zum humanistischen Entwurf für ein neues Suizidhilfekonfliktgesetz

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Sonnenuntergang, Bank, Baum.

Beitragsbild: Pixabay/oudemuis

Laut Bundesverfassungsgericht wurde das Persönlichkeitsrecht von Sterbewilligen durch den 2015 verabschiedeten Suizidhilfe-Strafrechtsparagraphen 217 verfassungswidrig eingeschränkt. Für das Desaster des jetzt gekippten Verbots waren damals maßgeblich Lobbyist*innen der Kirchen verantwortlich, was bisher allerdings kaum transparent wurde. Humanistische und individualethische Ansätze könnten nun im konstruktiven Dialog mit der Politik stärker Geltung erlangen.

Es war eine her­be Nie­der­la­ge für die par­la­men­ta­ri­schen Befürworter*innen des § 217 Straf­ge­setz­buch (StGB), als die Karls­ru­her Richter*innen die­sen am 26. Febru­ar 2020 sogar rück­wir­kend für nich­tig erklär­ten. Bei der Ver­ab­schie­dung im Dezem­ber 2015 hat­te die gro­ße Mehr­heit der Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten (vor allem aus der Uni­on) als Ziel ihres Ver­bots­ge­set­zes genannt, „Geschäf­te mit dem Tod“ stop­pen zu wol­len.

Nun ist genau die Situa­ti­on wie vor Ende 2015 wie­der ein­ge­tre­ten. Die Hil­fe zum Sui­zid ist nicht straf­bar. Gleich­zei­tig gilt seit eh und je, dass die Hil­fe zur Selbst­tö­tung ein straf­ba­res Tötungs­de­likt bei einem nicht frei­wil­lens­fä­hi­gen Sui­zi­den­ten dar­stellt. Der Ver­ein Ster­be­hil­fe (vor­mals: Ster­be­hil­fe Deutsch­land e. V.) konn­te die Sui­zid­hil­fe direkt nach dem BVerfG-Urteils­spruch nach sei­nen Sorg­falts­kri­te­ri­en und inter­nen Ethik­re­geln wie­der auf­neh­men, erst­ma­lig in Deutsch­land sogar bei einem Pfle­ge­heim­be­woh­ner.

Die eigentlichen Verfasser*innen des § 217 StGB – Frage der Transparenz

Dass durch das BVerfG-Urteil die „Türen zur Tötung“ wie­der weit geöff­net sei­en, behaup­te­ten ent­setzt vor allem Kirchen‑, Ärzteschaft‑, Sui­zid­prä­ven­ti­ons- und Hospizvertreter*innen sowie in der Poli­tik an ers­ter Stel­le die par­la­men­ta­ri­sche Staats­se­kre­tä­rin Kers­tin Grie­se (SPD), Mit­glied im Rat der Evan­ge­li­schen Kir­che. Grie­se war zusam­men mit ihrem Kol­le­gen Micha­el Brand (CDU) die Initia­to­rin des § 217 StGB. Dabei blieb im Gesetz­ge­bungs­ver­fah­ren den Bun­des­tags­mit­glie­dern ver­bor­gen, dass die For­mu­lie­rung des § 217 bis hin zu Tipp­feh­lern über­nom­me­nen Vor­schlag der Deut­schen Stif­tung Pati­en­ten­schutz (ehe­mals „Hos­piz­stif­tung“, 1995 vom römisch-katho­li­schen Mal­te­ser­or­den gegrün­det) ent­sprach.

Wie Eugen Brysch, der Geschäfts­füh­rer der Stif­tung, in einem Video­bei­trag der Zei­tung Die Zeit aus­führt, wur­de der Text zusam­men mit Stef­fen Augs­berg, Pro­fes­sor für öffent­li­ches Recht an der Uni­ver­si­tät Gie­ßen, ver­fasst. Letz­te­rer hat den Gesetz­ent­wurf zu § 217 StGB dann in der Anhö­rung im Aus­schuss des Bun­des­ta­ges als neu­tral erschei­nen­der wis­sen­schaft­li­cher Rechts­exper­te ver­tre­ten – zusam­men mit wei­te­ren Befür­wor­tern, die ent­we­der offen als Funk­ti­ons­trä­ger (Ex-Bischof Wolf­gang Huber) oder ver­deckt als Mit­glied der „Aka­de­mie des päpst­li­chen Lebens“ (Pal­lia­tiv­me­di­zi­ner Tho­mas Sit­te) in enger Ver­bin­dung zu den christ­li­chen Kir­chen ste­hen. In dem hoch­in­for­ma­ti­ven Zeit-Video sagt Timo Lan­ge, Spre­cher des Ver­eins Lob­by­con­trol, dazu: Es sei zwar nicht zu bean­stan­den, wenn Kir­chen­au­to­ri­tä­ten und Vertreter*innen von Glau­bens­vor­stel­lun­gen, die über das Per­sön­li­che in den Bereich des Lob­by­is­mus hin­aus­ge­hen, auf Gesetz­ge­bungs­ver­fah­ren Ein­fluss neh­men. Aller­dings wäre die „Fra­ge der Trans­pa­renz“ dabei ent­schei­dend. In die­sem Sin­ne hät­te die ursprüng­li­che Autoren­schaft bei dem Gesetz­ent­wurf deut­lich gemacht wer­den müs­sen, als er im Bun­des­tag zur Abstim­mung vor­ge­legt wur­de.

Humanistischer Gesetzentwurf gegen neue Restriktionen der Suizidhilfegegner*innen

Beson­ders Grie­se zeig­te sich am Tag des BVerfG-Urteils ent­setzt: Durch den Rich­ter­spruch stei­ge der Druck auf alte und kran­ke Men­schen, sie „habe die Sor­ge, dass jetzt die Zahl der Sui­zi­de steigt“. Der von Grie­se, den Kir­chen und allen für Straf­bar­keit bei der Sui­zid­hil­fe plä­die­ren­den Orga­ni­sa­tio­nen ver­tre­te­ne Ansatz kann als ein kon­ser­va­ti­ver „sozi­al­ethi­scher“ bezeich­net wer­den. Danach ist – zunächst ja sinn­vol­ler­wei­se – der Sozi­al­staat auf­ge­for­dert, Wür­de wah­ren­de Pfle­ge, Pal­lia­tiv­me­di­zin, Hos­piz­ar­beit und „Selbstmord“-Verhütung zu för­dern als Alter­na­tiv­an­ge­bot zur Sui­zid­hil­fe – um die­se so weit wie mög­lich zu ver­bie­ten. Allen­falls in extre­men Ein­zel­fäl­len dür­fe bei abso­lut uner­träg­li­cher und nicht lin­der­ba­rer Qual in todes­na­her Situa­ti­on straf­freie Hil­fe zur Selbst­tö­tung gewährt wer­den. Die Nach­hal­tig­keit, Frei­ver­ant­wort­lich­keit und Ernst­haf­tig­keit des Ster­be­ver­lan­gens müss­ten zudem durch Maß­nah­men wie regel­haf­te psych­ia­tri­sche Begut­ach­tung, ärzt­li­che Zweit­mei­nung und War­te­fris­ten (ein Vor­schlag christ­li­cher Mediziner*innen sieht jetzt sechs Mona­te vor!) mit Sicher­heit fest­ge­stellt wor­den sein.

Eine neue straf­recht­li­che Durch­setz­bar­keit die­ser Vor­stel­lun­gen in Rein­form ist zwar nicht mehr mög­lich. Aber die­je­ni­gen, die eine soge­nann­te Nor­ma­li­sie­rung des Sui­zids für das schlimms­te aller Übel hal­ten, kön­nen in der über 100-sei­ti­gen, auch Risi­ken abwä­gen­den Urteils­be­grün­dung durch­aus ein brei­tes Spek­trum an neu­en Ein­schrän­kungs­mög­lich­kei­ten fin­den.

Der Huma­nis­ti­sche Ver­band Deutsch­lands hat dem­ge­gen­über bereits im März einen vor­läu­fi­gen und Anfang Mai den end­gül­ti­gen Ent­wurf für ein „Sui­zid­hil­fe­kon­flikt­ge­setz” vor­ge­legt, wel­cher von einer indi­vi­du­al­ethi­schen Prä­mis­se aus argu­men­tiert. Die­ser lehnt – eben­so wie sämt­li­che ande­ren Orga­ni­sa­tio­nen aus dem huma­nis­tisch-säku­la­ren Umfeld – neue Zwangs- und Straf­maß­nah­men ab und basiert vor allem auf frei­wil­lig zu nut­zen­den Gesprächs­an­ge­bo­ten in ergeb­nis­of­fe­ner Sui­zid­hil­fe-Bera­tung und ver­trau­ens­vol­ler Arzt-Pati­en­ten-Bezie­hung. Dies ent­spricht dem Geist des BVerfG-Urteils: Sui­zid mit Hil­fe Drit­ter human rea­li­sie­ren zu kön­nen, wird in den Leit­sät­zen als Besie­ge­lung des all­ge­mei­nen Per­sön­lich­keits­rechts und damit der Men­schen­wür­de aus­ge­legt.

Die alten Seil­schaf­ten der Suizidhilfegegner*innen mögen zwar die Restrik­ti­ons­mög­lich­kei­ten bis an den Rand einer erneu­ten Ver­fas­sungs­wid­rig­keit zu nut­zen ver­su­chen. Aller­dings dro­hen mit zuneh­men­der Trans­pa­renz ernst­haf­te Fol­gen für die Akzep­tanz in der Bevöl­ke­rung sowie auch für inner­kirch­li­che Spreng­kräf­te.

Sprengkraft und Krise für die christlichen Kirchen

Am Tag der Urteils­ver­kün­dung war die als öku­me­nisch prä­sen­tier­te Chris­ten­welt zwi­schen Evan­ge­li­scher Kir­che (EKD) und Deut­scher Bischofs­kon­fe­renz (DBK) noch in Ord­nung. In einer gemein­sa­men Erklä­rung kri­ti­sier­ten EKD und DBK die Karls­ru­her Ent­schei­dung in schärfs­ten Wor­ten als „Ein­schnitt in unse­re auf Beja­hung und För­de­rung des Lebens aus­ge­rich­te­te Kul­tur“. Nun ist es zu einer ernst­haf­ten Kri­se gekom­men. Aus­ge­löst wur­de sie durch einen Brief von Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­ter Spahn vom 15. April 2020, wor­in die­ser für sein geplan­tes „legis­la­ti­ves Schutz­kon­zept“ – aus­schließ­lich bei Adres­sa­ten in die­sem sei­nem Sin­ne – um Vor­schlä­ge nach­sucht.

Ein ursprüng­lich selbst­be­stim­mungs­ori­en­tier­tes, vom Münch­ner Theo­lo­gie­pro­fes­sor Rei­ner Anselm ver­fass­tes Ant­wort­schrei­ben an Spahn wur­de in letz­ter Minu­te von der EKD-Hier­ar­chie gestoppt und völ­lig umge­schrie­ben. Anselm hat­te eine huma­nis­tisch anmu­ten­de Stoß­rich­tung vor­ge­ge­ben und pri­mär die Gewis­sens­ent­schei­dung des Ein­zel­nen im Sin­ne des Karls­ru­her Urteils aner­kannt. Als Haupt­satz des Anselm-Papiers galt, wie die F.A.Z. vom 18. Juni 2020 zu berich­ten wuss­te, es sei ein „Gebot der Huma­ni­tät, Men­schen, die sich zu die­sem letz­ten Schritt ent­schie­den haben, zu einem auf men­schen­wür­di­ge Wei­se voll­zo­ge­nen Sui­zid zu ver­hel­fen“. Die­se als anstö­ßig emp­fun­de­ne For­mu­lie­rung wur­de jedoch von der EKD getilgt und statt­des­sen eine kri­ti­sche Bewer­tung zu den „den Sui­zid nahe­zu heroi­sie­ren­den For­mu­lie­run­gen“ des BVerG-Urteils ein­ge­fügt.

Prin­zi­pi­ell wol­le man, so die EKD in ihrem Schrei­ben vom 15. Juni 2020 an den Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­ter, inner­halb der Beschrän­kun­gen des Karls­ru­her Urteils kon­struk­tiv bei einer Neu­re­ge­lung der Sui­zid­hil­fe zusam­men­ar­bei­ten. Ging auch der Theo­lo­ge Anselm erst vom Indi­vi­du­um aus und bezog dann das Sozia­le und Über­grei­fen­de ein, so bleibt es nun nach der Umstel­lung durch die EKD umge­kehrt bei dem fol­gen­den: An ers­ter Stel­le steht die Schaf­fung eines sui­zid­ver­hü­ten­den Kli­mas und der Lebens­schutz, dann der Aus­bau der Pal­lia­tiv­me­di­zin und an letz­ter Stel­le kommt der extre­me Ein­zel­fall des trotz allem noch sui­zid­wil­li­gen Men­schen in den Blick.

Weder Fisch noch Fleisch – Politische Gemengelage bleibt ungewiss

An dem neu­en EKD-Posi­ti­ons­pa­pier kri­ti­sie­ren libe­ra­le evan­ge­li­sche Kirchenvertreter*innen und Lai­en, es berück­sich­ti­ge die ent­schei­den­de Selbst­be­stim­mungs­fra­ge kaum und sei „weder Fisch noch Fleisch“. Aus Sicht der Katho­li­schen Kir­che bleibt dies ein Schlin­ger­kurs der EKD. Es ist frag­lich, ob die DBK wei­ter auf die­sem mit­zu­ge­hen bereit ist, da sie ja in bio­ethi­schen Fra­gen ihre tra­di­tio­nel­le Leh­re (wie etwa auch zum abso­lu­ten Embryo­nen-Schutz) ganz ein­deu­tig gel­tend machen muss. Die DBK ver­ur­tei­le das Ein­tre­ten der EKD für ein „Ein­zel­fall-bezo­ge­nes Ver­fah­ren“, wie sie dem Gesund­heits­mi­nis­ter laut katholisch.de mit­ge­teilt habe. Danach ver­wer­fen die Bischö­fe jeden „Kom­pro­miss­cha­rak­ter“ zwi­schen indi­vi­du­al- und sozi­al­ethi­scher Auf­fas­sung als unzu­läs­sig. Wenn sich ein Mensch zu einer sui­zi­da­len Hand­lung gedrängt füh­le, wäre er zwar nicht mora­lisch zu ver­ur­tei­len, ihm sei aber aus­schließ­lich ein­fühl­sa­me Seel­sor­ge anzu­bie­ten. Als ver­ant­wort­lich dafür, dass sich bei der EKD doch nichts grund­sätz­lich ändern soll­te, ste­hen gemäß der F.A.Z.v „als maß­geb­li­che Trei­ber“ hin­ter der Ableh­nung des ursprüng­lich libe­ra­len Ant­wort­schrei­bens an Spahn drei Per­so­nen: der frü­he­re Vor­sit­zen­de des Ethik­ra­tes Peter Dab­rock, der EKD-Rats­vor­sit­zen­de Hein­rich Bedford-Strom sowie die SPD-Poli­ti­ke­rin Grie­se. Grie­se wird zitiert mit den Wor­ten: Das EKD-Papier zeu­ge jetzt von „einer kla­ren Hal­tung“, die „auf der bis­he­ri­gen Linie“ lie­ge.

Der Huma­nis­ti­sche Ver­band Deutsch­lands sieht sich beson­ders her­aus­ge­for­dert, sei­ne indi­vi­du­al­ethisch begrün­de­te Welt­an­schau­ung und Wer­te­ori­en­tie­rung im kon­struk­ti­ven Dia­log mit der Poli­tik gel­tend zu machen. Sein früh­zei­tig vor­ge­stell­ter, alle Aspek­te der Sui­zid­hil­fe umfas­sen­der Gesetz­ent­wurf stößt im Bun­des­tag bereits auf eini­ges Inter­es­se, bei ein­zel­nen Abge­ord­ne­ten der Lin­ken und der Grü­nen und in der wie­der im Bun­des­tag ver­tre­te­nen FDP-Frak­ti­on. Dar­über hin­aus gibt es mit Politiker*innen, die nach der par­la­men­ta­ri­schen Som­mer­pau­se inter­frak­tio­nell ein libe­ra­les Rege­lungs­kon­zept zur Sui­zid­hil­fe auf den Weg brin­gen wol­len, teils guten Kon­takt und auch bereits Gesprächs­ver­ab­re­dun­gen. Aller­dings grei­fen kon­ser­va­tiv-christ­li­che Politiker*innen wie Spahn wei­ter auf alt­be­währ­te Kräf­te und „Moral­ver­tre­ter“ zurück, die sich alle­samt als „lebens­be­ja­hend“ in Sze­ne set­zen – auch wenn sie für das ver­fas­sungs­wid­ri­ge Desas­ter erheb­lich mit­ver­ant­wort­lich sind.

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