Verfasst in Zusammenarbeit mit Christiane Friedrich
Der Fall von Kristina Hänel, die aufgrund des Paragrafen 219a strafrechtlich verurteilt wurde, hat in den vergangenen Jahren großes mediales Aufsehen erregt und den § 219a einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht. Der Hintergrund: Die Gießener Allgemeinmedizinerin Hänel hatte auf ihrer Internetseite sachlich über die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen in ihrer Praxis informiert. Abtreibungsgegner*innen hatten Hänel sowie viele weitere ihrer Kolleg*innen aufgrund solcher „Werbung“ mit Strafanzeigen überzogen.
Nun soll der Strafrechtsparagraf 219a also ersatzlos gestrichen werden. Das Bundesministerium der Justiz (BMJ) hatte hierzu einen entsprechenden Gesetzentwurf erarbeitet und verschiedenen Interessenverbänden im Februar 2022 angeboten, am Stellungnahmeverfahren teilzunehmen. Berücksichtigt wurden hierbei neben juristischen, frauenpolitischen und ärztlichen Organisationen die beiden christlichen Kirchen mit ihren zahlreichen Untergruppierungen und – als einer der wenigen dezidiert säkularen Vertreter – der HVD Bundesverband. Der Gesetzentwurf sowie sämtliche Stellungnahmen sind auf der Internetseite des BMJ nachzulesen.
In seiner mit Expertenunterstützung abgestimmten Positionierung begrüßt der HVD Bundesverband die schon lange von säkularen und frauenrechtlichen Initiativen geforderte Streichung von § 219a als längst überfällig. Dies könne jedoch nur der erste Schritt sein auf dem Weg, das Thema Schwangerschaftsabbruch einer umfassenden Neuregelung zuzuführen.
In der HVD-Stellungnahme für das BMJ heißt es als Quintessenz:
„Aktuell bedarf es in Deutschland aufgrund der neueren rechtswissenschaftlichen und bioethischen Diskussionen unseres Erachtens einer grundlegenden Reform. Zu überwinden ist dabei die fragliche Voraussetzung einer quasi verabsolutierten „Schutzpflicht für das ungeborene Leben“. Der Referentenentwurf geht jedoch davon aus, dass auf eben dieser [bei Abschaffung von § 219a StGB] unbedingt zu beharren sei und betont dies an mehreren Stellen. Wir bewerten eine solche unhinterfragte Voraussetzung im Begründungsteil als eine ebenso bedauernswerte wie überflüssige Selbstbeschränkung.“
Insbesondere aus den Kirchen wurde harsche Kritik an einer möglichen Abschaffung von § 219a StGB laut. Deren Fixierung auf den Erhalt ausgerechnet dieses Paragrafen gegen ärztliche Information ist – wenngleich wenig überraschend – schwer verständlich. Denn auf Grundlage des Bundesverfassungsurteils aus den 1990er Jahren hängt der verabsolutierte Embryonenschutz, für den sich die Kirchenvertreter*innen einsetzen, stattdessen ja vom Strafrechtsparagrafen 218 ab.
In ihrem Antwortschreiben an das BMJ macht die evangelische Kirche (EKD) in knapper Form deutlich, man gehe davon aus, dass außer „sachgemäßer Informationen über den Schwangerschaftsabbruch weiterhin Werbung dafür untersagt bleibt […] und den anspruchsvollen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz des ungeborenen Lebens Rechnung getragen wird.“ Die katholische Kirche betont, dass sie Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich ablehne und dazu das bestehende Strafrecht mit § 218 ff. als nicht ausreichend ansähe. Sie würde es als mühsam erzielten Kompromiss akzeptieren, wobei allerdings der § 219a unantastbar als Baustein dazugehöre.
Auch die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd), mit fast 400.000 Mitgliedern einer der größten Frauenorganisationen hierzulande, macht sich entschieden für die Bewahrung des § 219a stark. Laut Stellungnahme der kfd wird in der Abschaffung von 219a „ein erster Schritt zur Aufhebung eines gesellschaftlichen Konsenses“ gesehen. Dieser hätte bisher den verfassungsrechtlich abgesicherten „bestmöglichen Schutz des ungeborenen Lebens bieten können“. Die Befürworter*innen der Reform nähmen „eine mögliche Spaltung unserer Gesellschaft in Fragen des Schwangerschaftsabbruchs in Kauf.“ Doch auch nach Streichung des § 219a wird es keine anpreisende, irreführende oder vergleichende Werbung für Schwangerschaftsabbrüche geben, da diese allein schon nach den Berufsordnungen der Ärzt*innen verboten ist.
Der Widerstand der Kirchen mit der Union an ihrer Seite ist bereits gegen die Abschaffung des isoliert dastehenden § 219a unübersehbar massiv – wohl als Warnung für weitergehende Reformbemühungen, die dann auch den § 218 betreffen könnten.
Der Humanistische Verband Deutschlands wird in dieser und anderen Reformdebatten weiter auf sein Spezifikum hinsichtlich Praxisorientierung und konkreter wissensfundierter Lösungsansätze setzen. Es bleibt zu hoffen, dass neben radikalen Polarisierungen auch die vermeintliche Zuständigkeit der Kirchen für das „Moralische“ zunehmend in den Hintergrund treten werden.