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Humanistisches zu Neuregelungen

Alleingelassen und stigmatisiert bei Schwangerschaftsabbruch

Frau allein am Wasser sitzend
Die medizinische Versorgungslage für ungewollt Schwangere hat sich dramatisch verschlechtert. Dazu beigetragen hat der im § 218 StGB (Strafgesetzbuch) verabsolutierte „Schutz des ungeborenen menschlichen Lebens“. Eine humanistische Weltanschauung lehnt diesen ab, zumal wenn er sich auf millimeterkleine Embryonen bezieht.

Bekann­ter­ma­ßen erweist es sich in vie­len Regio­nen Deutsch­lands, vor allem im über­wie­gend katho­li­schen Süden, als schwer bis unmög­lich, eine Schwan­ger­schaft ohne „Hin­der­nis­lauf“ abbre­chen zu las­sen. Doch die Ver­sor­gungs­la­ge ist oft noch schlech­ter als all­ge­mein ange­nom­men. Wur­den 2003 noch etwa 2.050 Mel­de­stel­len (vor­wie­gend Pra­xen) erfasst, die ent­spre­chen­de Ein­grif­fe anbo­ten, waren es Ende 2020 nur noch gut 1.100.

Immer gravierender werdende Mangelsituation

Dies erklär­te Chris­ti­an Alb­ring, Prä­si­dent des Berufs­ver­bands der Frau­en­ärz­te, im Deutsch­land­funk so: Ver­mehrt hät­ten sich Abtreibungsgegner*innen mit „Geh­steig­be­läs­ti­gun­gen“ in bedroh­li­cher Wei­se pos­tiert. Sie zeig­ten außer­dem infor­mie­ren­de Ärzt*innen wegen angeb­li­chen Ver­sto­ßes gegen das Wer­be­ver­bot im § 219a StGB an und schüch­ter­ten sie damit ein. Die bis­lang prak­ti­zie­ren­den – und poli­tisch pro Frau­en­rech­te sozia­li­sier­ten – Gynäkolog*innen wären nach und nach in Ren­te gegan­gen. Für die nach­fol­gen­den Gene­ra­tio­nen sei das The­ma wenig rele­vant – zumal es im Medi­zin­stu­di­um kaum behan­delt wird. Die pri­va­te Ver­gü­tung für die­se „Son­der­leis­tung“ befin­det sich im mitt­le­ren drei­stel­li­gen Bereich, ist also nicht üppig. Hat eine Frau nur ein Monats­ein­kom­men unter 1.250 Euro, besteht Anspruch auf Kos­ten­über­nah­me. Dies ist (neben zahl­rei­chen wei­te­ren Bestim­mun­gen) im Schwan­ger­schafts­kon­flikt­ge­setz gere­gelt.

Erschüt­ternd sind Erleb­nis­be­rich­te von Frau­en, die eine Schwan­ger­schaft abge­bro­chen haben, wel­che das Netz­werk von CORRECTIV.Lokal auf­ge­zeich­net und im März 2022 ver­öf­fent­licht hat. Nach einer (nicht reprä­sen­ta­ti­ven) Befra­gung von etwa 1.500 Betrof­fe­nen in ganz Deutsch­land klag­ten vie­le Frau­en, sich stig­ma­ti­sie­rend behan­delt oder allein­ge­las­sen gefühlt zu haben. Jede vier­te gab Pro­ble­me bei der medi­zi­ni­schen Ver­sor­gung an: etwa fließ­band­mä­ßi­ge Abfer­ti­gung, schwer­wie­gen­de Kom­pli­ka­tio­nen, feh­len­de Auf­klä­rung, ver­wei­ger­te Schmerz­mit­tel.

Als zumin­dest mit­ver­ant­wort­lich gilt die deut­sche Straf­rechts­re­ge­lung von 1995. Sie stellt das in Gesetz gegos­se­ne, bis heu­te nicht revi­dier­te Votum des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­rich­tes zum Schwan­ger­schafts­ab­bruch dar. Karls­ru­he hat­te – wie bereits 1974 die Fris­ten­lö­sung unter der Brandt-Regie­rung – 1993 das gesamt­deut­sche Gesetz mit Ori­en­tie­rung an der DDR-Rege­lung wie­der für nich­tig erklärt. Die­se bei­den frau­en­recht­lich ori­en­tier­ten Model­le ent­spra­chen den heu­te in den meis­ten euro­päi­schen Län­dern gel­ten­den Fris­ten- bzw. libe­ra­len Indi­ka­ti­ons­re­ge­lun­gen. In Deutsch­land wur­den sie jedoch zwei­mal nach kirch­li­chen und kon­ser­va­ti­ven Empö­rungs­stür­men höchst­rich­ter­lich wie­der gekippt. Der schließ­lich errun­ge­ne fau­le Kom­pro­miss von 1995 wird als „Bera­tungs­mo­dell“ bezeich­net: Es ist kei­ne bedin­gungs­los straf­freie Frist für einen selbst­ge­wähl­ten Schwan­ger­schafts­ab­bruch vor­ge­se­hen, weil damit das angeb­lich von Beginn an zu wah­ren­de vor­ge­burt­li­che Lebens­recht unbe­rück­sich­tigt blie­be. 

Würdeschutz früher Embryonen – Strafbarkeitsparadoxie seit 1995

Seit gut einem Vier­tel­jahr­hun­dert gilt im gesamt­deut­schen Straf­recht in § 218 wie­der für jede eben im Ute­rus ein­ge­nis­te­te (ledig­lich mehr­fach geteil­te) Eizel­le ein grund­sätz­li­ches Lebens­recht. Dem­nach soll die­ses nicht etwa erst einem Fötus im spä­ten Ent­wick­lungs­sta­di­um zukom­men, wenn er im sieb­ten Monat auch schon außer­halb des Mut­ter­lei­bes lebens­fä­hig wäre. In Abwä­gung mit dem Frau­en­selbst­be­stim­mungs­recht ist zu berück­sich­ti­gen, dass erst fort­schrei­ten­de Pha­sen des vor­ge­burt­li­chen Wer­dens eine zuneh­men­de Schutz­wür­dig­keit bedeu­ten. Im § 218 StGB wird jedoch zunächst jeder (!) Schwan­ger­schafts­ab­bruch unter Stra­fe bis zu Frei­heits­ent­zug von drei Jah­ren gestellt. Die­se ver­ab­so­lu­tier­te, christ­lich moti­vier­te Unan­tast­bar­keit eines embryo­na­len „Zell­häuf­chens“ wird vom Huma­nis­ti­schen Ver­band strikt abge­lehnt. Ein Wür­de­schutz bereits für die befruch­te­te Eizel­le wider­spricht nicht nur einer säku­la­ren Welt­an­schau­ung, son­dern heu­te einem all­ge­mein ver­brei­te­ten Men­schen­bild sowie medi­zin- und bio­ethi­schen Ver­ständ­nis.

Die Kri­mi­na­li­sie­rung im § 218 StGB ver­fes­tigt das gesell­schaft­li­che Tabu und die Stig­ma­ti­sie­rung unge­wollt Schwan­ge­rer; die repro­duk­ti­ven Selbst­be­stim­mungs­rech­te wer­den qua­si durch eine Aus­tra­gungs­pflicht ersetzt. Aller­dings sind dann im 218a StGB Aus­nah­me­re­ge­lun­gen auf­ge­führt. Danach wird – para­do­xer­wei­se bei fort­be­stehen­der Rechts­wid­rig­keit (!) – von Stra­fe abge­se­hen: Näm­lich inner­halb der ers­ten zwölf Schwan­ger­schafts­wo­chen bei ver­pflich­ten­der Kon­sul­ta­ti­on einer Schwan­ger­schafts­kon­flikt­be­ra­tungs­stel­le mit anschlie­ßend drei­tä­gi­ger War­te­zeit. Laut Sta­tis­ti­schem Bun­des­amt betref­fen die­se „Nor­mal­fäl­le“ gut 95 Pro­zent aller Abbrü­che. Zudem sind im § 218a zwei Indi­ka­tio­nen auf­ge­führt – neben der kri­mi­no­lo­gi­schen (Ver­ge­wal­ti­gung) vor allem die medi­zi­ni­sche (Gesund­heits­ge­fähr­dung der Frau). Dann wird ein Schwan­ger­schafts­ab­bruch ohne Bera­tungs­pflicht von den Kran­ken­kas­sen bezahlt und ist bis zum Ein­tritt der Geburts­we­hen (!) auch nicht rechts­wid­rig. Inso­fern wür­de – eine wei­te­re heuch­le­risch gepräg­te Para­do­xie – sogar für einen nor­mal hoch­ent­wi­ckel­ten Fötus qua­si ein gerin­ge­rer Lebens­schutz gel­ten als für eine eben ein­ge­nis­te­te Eizel­le.

Dokumentation in Zahlen

Lan­ge war es um den § 218 StGB rela­tiv ruhig geblie­ben. Ein Grund dürf­te sein, dass auf Basis des § 218a sta­tis­tisch regis­triert (bei bestehen­der Dun­kel­zif­fer) jähr­lich rund 100.000 Abbrü­che straf­frei vor­ge­nom­men wer­den. Davon erfol­gen gut 4.000 spä­te Abbrü­che für die Betrof­fe­nen kos­ten­frei auf­grund der Indi­ka­ti­ons­re­ge­lung. Hin­zu kom­men jähr­lich weit über 1.000 von deut­schen Frau­en in den Nie­der­lan­den vor­ge­nom­me­ne Ein­grif­fe, die dort bis zur 22. Schwan­ger­schafts­wo­che pro­blem­los mög­lich sind. Die Zahl der sehr spä­ten Abbrü­che ab dem sechs­ten Monat gemäß Indi­ka­ti­on wird hier­zu­lan­de auf rund 500 jähr­lich geschätzt.

Von den etwa 1.900 deut­schen Kran­ken­häu­sern füh­ren kon­fes­sio­nel­le in aller Regel kei­ne oder kaum Schwan­ger­schafts­ab­brü­che durch, da sie spe­zi­fi­schen kirch­li­chen Loya­li­täts­pflich­ten unter­lie­gen. Eine detail­lier­te Recher­che von CORRECTIV.Lokal mit der Trans­pa­renz­in­itia­ti­ve Frag­Den­Staat fokus­sier­te sich auf die 309 öffent­li­chen Kran­ken­häu­ser mit Gynä­ko­lo­gie-Abtei­lung. Denn die­se wären als Teil der staat­li­chen Gesund­heits­ver­sor­gung eigent­lich beson­ders ver­pflich­tet, regio­na­le Ver­sor­gungs­lü­cken zu schlie­ßen. Die auf­wän­dig durch­ge­führ­te Daten­ab­fra­ge zeigt einen gewal­ti­gen Miss­stand auch bei den Kli­ni­ken in öffent­li­cher Trä­ger­schaft: Von die­sen gaben 57 Pro­zent an, grund­sätz­lich kei­ne Abbrü­che nach regu­lä­rer Bera­tungs­re­ge­lung durch­zu­füh­ren (son­dern allen­falls nach medi­zi­ni­scher Indi­ka­ti­on), wei­te­re ver­wei­ger­ten jede Aus­kunft. Als Grund gilt etwa, ein „baby­freund­li­ches“ Haus zu sein – oder es schwingt die Sor­ge vor einer auf­ge­heiz­ten Stim­mung mit. Den „Spit­zen­platz“ neh­men die (in öffent­li­cher Hand befind­li­chen!) 83 Gynä­ko­lo­gie-Sta­tio­nen in Bay­ern ein, von denen 26 aus­schließ­lich bei gra­vie­ren­der Gesund­heits­ge­fähr­dung der Frau einen Abbruch vor­neh­men wür­den und ledig­lich 9 in regu­lä­ren Nor­mal­fäl­len.

Humanistische Positionierung: Betroffenen mit Sofortmaßnahmen helfen

Eine mit fach­li­cher Unter­stüt­zung (vor allem durch den Ethik-Pro­fes­sor Hart­mut Kreß, Exper­te für Repro­duk­ti­ons­me­di­zin) abge­stimm­te und zur Dis­kus­si­on gestell­te Posi­tio­nie­rung des Huma­nis­ti­schen Ver­ban­des kann wie folgt zusam­men­ge­fasst wer­den:

In Über­ein­stim­mung mit der Pro-Choice-Bewe­gung („für Wahl­frei­heit“) darf kei­ne Frau zur Aus­tra­gung eines Unge­bo­re­nen gedrängt wer­den und müs­sen die Selbstbestim­mungsrechte von Schwan­ge­ren den Aus­gangs­punkt für eine Neu­re­ge­lung bil­den. Jedoch dür­fen dabei die Sta­di­en der vor­ge­burt­li­chen Ent­wick­lung nicht unbe­rück­sich­tigt blei­ben. Je spä­ter der Schwan­ger­schafts­ab­bruch, des­to wei­ter hat der ent­wi­ckel­te Fötus die Schwel­le zur Schmerz­emp­find­lich­keit, Gehirn­ent­wick­lung und schließ­lich (früh­ge­burt­li­chen) Lebens­fä­hig­keit über­schrit­ten. Anzu­stre­ben ist eine Fris­ten­lö­sung (statt, wie radi­kal gefor­dert, einer zu erbrin­gen­den Gesund­heits­leis­tung mit völ­li­ger Frei­ga­be – das hie­ße bis zum 9. Monat). Die her­kömm­li­che 12-Wochen­frist soll­te auf etwa 16 Wochen (ab Befruch­tung) erwei­tert wer­den, zu den­ken wäre auch an einen Zeit­raum von bis zu 20 Wochen, in dem kei­ne ver­pflich­ten­de Bera­tung zu gel­ten hät­te. Auch wei­ter­hin soll­ten Ärzt*innen bei ernst­haf­ten Gewis­sens­vor­be­hal­ten nicht zu einem Abbruch gezwun­gen wer­den kön­nen mit dem Hin­weis, die­ser wäre doch ein medi­zi­ni­scher Ein­griff wie jeder ande­re.

Laut Ampel­ko­ali­ti­ons­ver­trag soll der § 219 a (Wer­bung) jetzt abge­schafft und auch ande­ren Ein­schüch­te­rungs­maß­nah­men ent­ge­gen­ge­wirkt wer­den – eine Strei­chung des § 218 StGB ist aus­drück­lich nicht vor­ge­se­hen. Die betrof­fe­nen Frau­en sind in die­ser Situa­ti­on aber nicht län­ger allein zu las­sen. Als Sofort­maß­nah­men muss struk­tur­po­li­tisch sicher­ge­stellt wer­den, dass Schwan­ger­schafts­ab­brü­che gemäß heu­te ver­füg­ba­rer Metho­den und best­mög­li­cher Stan­dards flä­chen­de­ckend in Anspruch zu neh­men sind. Vor­ran­gig ist die Auf­nah­me die­ser ärzt­li­chen Auf­ga­be in die pro­fes­sio­nel­le Aus- und Wei­ter­bil­dung und For­schung. Eine weit­ge­hen­de Kos­ten­über­nah­me durch die Kran­ken­kas­sen ist anzu­stre­ben. Kli­ni­ken mit Ver­sor­gungs­auf­trag sind dazu zu ver­pflich­ten, hin­rei­chend Ange­bo­te vor­zu­hal­ten und müss­ten andern­falls mit Ein­bu­ßen bei den staat­li­chen Finanz­leis­tun­gen rech­nen. Als Vor­bil­der gel­ten zudem Län­der wie die Nie­der­lan­de, Schwe­den oder Eng­land wegen frü­her Abbruchs­mög­lich­kei­ten mit Medi­ka­men­ten zu Hau­se, Sexu­al­auf­klä­rung und güns­tig ver­füg­ba­rer Ver­hü­tungs­mit­tel.

Mit­tel­fris­tig ist eine kon­kre­te, grund­le­gend neue Gesamt­re­ge­lung auf den Weg zu brin­gen. Fris­ten- und Indi­ka­ti­ons­mo­del­le wären in Son­der­ge­set­zen regel­bar. In Deutsch­land käme dazu etwa eine Umstruk­tu­rie­rung des bestehen­den Schwan­ger­schafts­kon­flikt­ge­set­zes in Fra­ge.

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