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Legitimation medizinischer Maßnahmen

Das medizinisch Machbare ist nicht wertfrei

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Krankenhaus Monitor Lebenserhaltung

Beitragsbild: Anna Shvets/ Pexels

Die Legitimation für eine medizinische Maßnahme beruht zunächst auf der ärztlichen Indikation für deren Sinnhaftigkeit, das heißt dem fachlich begründbaren Urteil des behandelnden Arztes. Entscheidend bleibt dann die informierte Einwilligung des Patienten. Doch was, wenn auch für seinen mutmaßlichen Willen keinerlei Hinweise vorliegen? Darf dann das Diktat des Machbaren gelten?

Bei hoch­be­tag­ten Pflegeheimbewohner*innen ste­hen sich meist zwei Behand­lungs­zie­le gegen­über: lin­dern­de Pal­lia­tiv­maß­nah­men zur För­de­rung der Lebens­qua­li­tät so lan­ge wie mög­lich oder bei einer Kom­pli­ka­ti­on die sofor­ti­ge Kran­ken­haus­ein­lie­fe­rung, auch wenn der Betrof­fe­ne dadurch zusätz­lich stark belas­tet wird. Über­flüs­si­ge Ein­grif­fe und tech­ni­sche Ver­fah­ren bedeu­ten häu­fig Scha­den für die betrof­fe­nen Men­schen und nüt­zen nur der fort­schrei­ten­den Öko­no­mi­sie­rung im Gesund­heits­sys­tem, denn bezahlt wird dort nach erbrach­tem Auf­wand. Bun­des­weit sind sinn­lo­se Ope­ra­tio­nen, exzes­si­ve Blut­rei­ni­gun­gen oder quä­len­de The­ra­pien ohne Behand­lungs­ziel und ohne pati­en­ten­ge­rech­te Auf­klä­rung längst kei­ne Ein­zel­fäl­le mehr. Dies zei­gen Recher­chen von Alex­an­dra Har­dorf für die ARD-Doku­men­ta­ti­on „Dem Ster­ben zum Trotz“. Über 400 Mil­li­ar­den Euro sind dem­nach 2020 in die­sen ste­tig wach­sen­den Wirt­schafts­sek­tor geflos­sen, den längst Groß­in­ves­to­ren für sich ent­deckt haben: Sie ste­cken Unmen­gen an Kapi­tal in den Auf­bau und die Über­nah­me von Kli­ni­ken und Pfle­ge­ein­rich­tun­gen sowie in letz­ter Zeit auch von Arzt­pra­xen.

Der Fall Sening

Die medi­zi­ni­sche Indi­ka­ti­on, was ange­mes­sen, alter­na­tiv­los und unbe­dingt not­wen­dig oder mit einer gewis­sen Wahr­schein­lich­keit sinn­voll wäre, ist ein Bau­stein für die Legi­ti­ma­ti­on für ein­ma­li­ge oder fort­lau­fen­de Maß­nah­men. Im Rechts­fall „Sening“ fehl­te aber nicht nur der dann not­wen­di­ge – geäu­ßer­te oder vor­sorg­lich ver­füg­te – Pati­en­ten­wil­le. Es gab viel­mehr kein begründ­ba­res Behand­lungs­ziel mehr.

Zum Hin­ter­grund: Heinz Sening ver­klag­te nach dem Tod sei­nes Vaters des­sen Arzt, weil die­ser den schwer demenz­kran­ken und zudem gelähm­ten Heim­be­woh­ner vier Jah­re lang durch künst­li­che Ernäh­rung am Leben erhal­ten hat, wobei der alte Mann (Jahr­gang 1929) von Schmer­zen, häu­fi­gem Fie­ber und Ersti­ckungs­an­fäl­len gepei­nigt war. In sei­nen letz­ten Lebens­jah­ren kamen bei schließ­lich völ­li­gem Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ver­lust Druck­ge­schwü­re und Kran­ken­haus­ein­wei­sun­gen auf­grund von Ent­zün­dun­gen (ein­mal der Gal­len­bla­se und vier­mal der Lun­ge) hin­zu. Der Sohn mit Wohn­sitz in Ame­ri­ka hat­te die Ver­län­ge­rung des Lei­dens sei­nes Vaters Hein­rich Sening vor­her ver­geb­lich durch Rechts­mit­tel zu been­den ver­sucht.

Nach des­sen Tod im Jahr 2011 (ent­ge­gen Lebens­ret­tungs­ver­su­chen) woll­te er nun als Allein­er­be unter­stützt von Rechts­an­walt Wolf­gang Putz eine Grund­satz­ent­schei­dung her­bei­füh­ren – was nur mit­tels Kla­ge auf Ersatz der Pfle­ge­kos­ten plus Schmer­zens­geld mög­lich war. Der Medi­zin­recht­ler Putz ver­trat ihn jah­re­lang mit wech­seln­den Urtei­len durch alle Instan­zen, ein Ent­scheid des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­rich­tes liegt nun vor (vom 7. April 2022, 1 BvR 1187/19).

Die mate­ri­el­le For­de­rung wur­de, teils auch aus for­mel­len Grün­den, letzt­end­lich zwar zurück­ge­wie­sen. Höchst­rich­ter­lich bestä­tigt wur­de dem­ge­gen­über, was meh­re­re Gut­ach­ten belegt hat­ten: Die Lei­dens­ver­län­ge­rung von Hein­rich Sening war nach medi­zi­ni­schen Stan­dards nicht indi­ziert, der Ver­stoß dage­gen ein kla­rer Behand­lungs­feh­ler des Arz­tes. Vor­sicht lie­ßen die Bundesverfassungsrichter*innen bei der Fra­ge wal­ten, ob ein Leben über­haupt als „Scha­den“ bewer­tet wer­den dür­fe. Aller­dings könn­ten „Kos­ten der Pfle­ge, Behand­lung und Unter­halt ersatz­pflich­tig sein“ – bei feh­ler­haf­tem Ver­hal­ten vor allem ent­ge­gen einer Pati­en­ten­ver­fü­gung. Doch müss­ten eine sol­che für eine gute Ver­sor­gung, hin­rei­chen­de Schmerz­the­ra­pie und auch pal­lia­ti­ve Ster­be­be­glei­tung dann alle haben?

„Nein, Ärz­te müs­sen auch so rich­tig behan­deln und haben Ver­ant­wor­tung dafür“, erläu­ter­te Putz gegen­über dem Baye­ri­schen Rund­funk die Bedeu­tung der Indi­ka­ti­on. Das Ziel, Leben unbe­dingt erhal­ten zu müs­sen, sei wohl „zu einer frü­he­ren Zeit rich­tig gewe­sen“. Ärzt*innen hät­ten seit Jahr­zehn­ten ver­in­ner­licht, dass das Mach­ba­re – auch juris­tisch – zumin­dest ohne anders­lau­ten­de Wil­lens­er­klä­rung nicht falsch sein kön­ne. Aber, dafür strei­tet Putz wei­ter, auf­grund des medi­zi­ni­schen Fort­schritts und öko­no­mi­scher Fehl­an­rei­ze muss das ver­meint­lich wert­freie „Dik­tat des Mach­ba­ren“ drin­gend ethisch und recht­lich hin­ter­fragt wer­den.

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