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Humanistische Bildung

Ungleiche Bildungschancen: Eine Herausforderung für den Humanismus

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Beitragsbild: Cliff Johnson/unsplash

Der gleichermaßen von Armut und Chancenungleichheit wie von fehlenden Investitionen verursachte Bildungsnotstand in Deutschland ist eine Herausforderung für die ganze Gesellschaft. Und folglich auch für einen zeitgemäßen Humanismus.

Über Bil­dung zu schrei­ben, fällt nicht leicht. Denn die Lücke zwi­schen Anspruch und Wirk­lich­keit wird immer grö­ßer. Gleich­zei­tig wach­sen die Her­aus­for­de­run­gen mit jedem Tag und not­wen­di­ge Mit­tel wer­den infra­ge gestellt oder gleich gekürzt. Der Bil­dungs­not­stand in Deutsch­land bewirkt, dass immer weni­ger Men­schen eine Chan­ce auf ein Leben in Wür­de, auf sozia­le Sicher­heit, auf Wert­schät­zung und Aner­ken­nung haben. Das spü­ren vor allem von Armut und Aus­gren­zung Betrof­fe­ne. Die­se Situa­ti­on geht ein­her mit einer gefähr­li­chen Ver­schie­bung des gesell­schaft­li­chen Dis­kur­ses in Rich­tung auto­ri­tä­rer, rech­ter und rechts­ra­di­ka­ler Posi­tio­nen und mit einem zuneh­men­den Ras­sis­mus, der nicht zuletzt in den mit­leid­lo­sen Debat­ten über geflüch­te­te Men­schen sei­nen Aus­druck fin­det. An den Ergeb­nis­sen der letz­ten PISA-Stu­die aus dem Dezem­ber 2023 las­sen sich die Aus­wir­kun­gen des Bil­dungs­not­stands able­sen. Hier haben 15-jäh­ri­ge Schüler*innen in Deutsch­land in Mathe­ma­tik, Lese­kom­pe­tenz und Natur­wis­sen­schaf­ten schlech­ter abge­schnit­ten als je zuvor. Gleich­zei­tig ist wäh­rend des drei­jäh­ri­gen Test­zeit­raums die Sche­re zwi­schen Arm und Reich und die Zahl der von Armut betrof­fe­nen Kin­der und Jugend­li­chen noch grö­ßer gewor­den. Kin­der von Eltern mit nied­ri­gem Bil­dungs­ab­schluss sind beson­ders oft von Armut betrof­fen und haben auch die gerings­ten Bil­dungs­chan­cen, wie aktu­el­le Daten des Sta­tis­ti­schen Bun­des­am­tes zei­gen. Sozia­le Her­kunft, Bil­dung und Wohl­stand bedin­gen sich nicht nur gegen­sei­tig. Sie sind auch eine ent­schei­den­de Vor­aus­set­zung dafür, gesell­schaft­li­che Aner­ken­nung, Teil­ha­be und damit einen posi­ti­ven Bezug zur Demo­kra­tie erfah­ren zu kön­nen.

Das humanistische Bildungsideal sieht den Menschen ganzheitlich und in all seinen Lebensverhältnissen

Des­we­gen ist es drin­gend nötig, aktiv für Bil­dungs- und sozia­le Gerech­tig­keit ein­zu­tre­ten. Ins­be­son­de­re aus der Per­spek­ti­ve eines huma­nis­ti­schen, ganz­heit­li­chen Bil­dungs­ide­als. Um es mit Ralf Schöpp­ner, dem Direk­tor der Huma­nis­ti­schen Aka­de­mien Deutsch­land, zu sagen: Statt bloß ein­sei­tig ratio­na­le Fähig­kei­ten zu för­dern oder im Men­schen nur Mate­ri­al für den Arbeits­markt zu sehen, steht in der huma­nis­ti­schen Bil­dung sei­ne gesam­te Ent­fal­tung im Vor­der­grund. Dazu zäh­len kogni­ti­ve, sozia­le, emo­tio­na­le, ethi­sche und ästhe­ti­sche Fähig­kei­ten. Nicht nur wegen des damit ein­her­ge­hen­den Men­schen­bil­des ist ein huma­nis­ti­sches Bil­dungs­ver­ständ­nis poli­tisch, son­dern auch wegen der sich dar­aus erge­ben­den sozia­len Ver­ant­wor­tung. Denn aus die­sem Men­schen­bild ergibt sich eine Kri­tik an den struk­tu­rel­len Vor­aus­set­zun­gen von Bil­dungs­un­gleich­heit und ein prak­ti­sches Strei­ten für bes­se­re Lern‑, Lebens- und Arbeits­be­din­gun­gen. Ohne einen sol­chen Ein­satz kann es kei­ne Bil­dungs­ge­rech­tig­keit geben. Denn Inves­ti­tio­nen in Bil­dung ver­puf­fen, wenn gesell­schaft­li­che Miss­stän­de nicht abge­baut wer­den. Auch aus die­sem Grund ist es wich­tig, huma­nis­ti­sche Bil­dung ganz­heit­lich zu den­ken: Damit Men­schen sich kogni­tiv, sozi­al, emo­tio­nal, ethisch und ästhe­tisch ent­fal­ten kön­nen, müs­sen zunächst ihre Grund­be­dürf­nis­se erfüllt sein. Von Kin­dern, die Hun­ger haben oder Angst davor, nach Hau­se zu gehen, die von ihrer Leh­re­rin nicht ver­stan­den oder von ihren Mitschüler*innen abge­lehnt und aus­ge­grenzt wer­den, sind schwer­lich Höchst­leis­tun­gen in Alge­bra, Kunst oder Musik zu erwar­ten.

Humanismus heißt auch: sich einmischen, in und außerhalb von Bildungsinstitutionen

Der glei­cher­ma­ßen von Armut und Chan­cen­un­gleich­heit wie von feh­len­den Inves­ti­tio­nen ver­ur­sach­te Bil­dungs­not­stand in Deutsch­land ist eine Her­aus­for­de­rung für die gan­ze Gesell­schaft. Und folg­lich auch für einen zeit­ge­mä­ßen Huma­nis­mus. Gera­de der Huma­nis­mus steht in der Ver­ant­wor­tung, die sozia­len, poli­ti­schen und öko­no­mi­schen Ursa­chen die­ser gesell­schaft­li­chen Kri­se kri­tisch zu beden­ken. Er muss sich bil­dungs­po­li­tisch ein­mi­schen und nicht nur in Kitas, Schu­len und an außer­schu­li­schen Lern- und Begeg­nungs­or­ten für (mehr) Gerech­tig­keit, Mensch­lich­keit und Soli­da­ri­tät sor­gen, son­dern auch im täg­li­chen Mit­ein­an­der, im per­sön­li­chen Kon­takt.

Der Bei­trag erschien zuerst im Maga­zin der Freund*innen des HUMANISMUS 14 | Früh­jahr 2024. Wir dan­ken dem HVD Ber­lin-Bran­den­burg für die freund­li­che Geneh­mi­gung zur Zweit­ver­öf­fent­li­chung.

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