Stuttgarter Fachgespräch am internationalen Frauentag

Reform von Schwangerschaftsabbrüchen – aber wie weiter?

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Beitragsbild: s_l/stock.adobe.com

Am 8. März – nach dem Aus des Gesetzes zur Abschaffung von § 218 StGB – traf in Stuttgart eine engagierte und hoch kompetente Runde zusammen. Vier Expert*innen aus Theorie und Praxis waren ins dortige Humanistische Zentrum gekommen. Sie diskutierten die Perspektive dringender Reformbedarfe sowie auch die traditionell religiösen Hintergründe der seit 1995 geltenden Regelung, die wie eh und je Schwangerschaftsabbrüche im Strafrecht verankert.

Ein­ge­la­den hat­ten die Huma­nis­ten Baden-Würt­tem­berg (www.dhubw.de). Als Verbandsvertreter*innen waren der Vor­stands­spre­cher Hol­ger Tho­r­ein und die Ärz­tin Dr. Gabrie­le Will (ehe­ma­li­ges Vor­stands­mit­glied) anwe­send und aus der gbs-Regio­nal­grup­pe die Frau­en­rechts­ak­ti­vis­tin Miri­am Mer­tens. Es gab etli­che Fra­gen zum Schei­tern des Gesetz­ent­wurfs zum Ende der Ampel­re­gie­rung. Er war in einem über­frak­tio­nel­len Grup­pen­an­trag vor allem von Abge­ord­ne­ten der SPD, Grü­nen sowie der Lin­ken noch im Novem­ber 2014 ein­ge­bracht wor­den. Die Expert*innen – es waren zwei loka­le und zwei von weit ange­reis­te – wur­den vom Mode­ra­tor Andrée Ger­land, Geschäfts­füh­rer der Huma­nis­ten BaWü, vor­ge­stellt, zunächst für den Ein­füh­rungs­vor­trag des Ethik- und Theo­lo­gie­pro­fes­sors Prof. Dr. Hart­mut Kreß (Bonn). Des­sen huma­nis­tisch-säku­la­res Enga­ge­ment ist beein­dru­ckend: u. a. als Bei­rat im Ber­tha von Sutt­ner-Stu­di­en­werk und im Insti­tut für Welt­an­schau­ungs­recht; zudem Mit­glied der BAG Säku­la­re von Bünd­nis 90/Die Grü­nen (koop­tiert) sowie der Ethik­kom­mis­si­on für Stamm­zel­len­for­schung der Bun­des­re­gie­rung.

Religiöse Hintergründe und Eckpunkte für Reformbedarf

Prof. Dr. Kreß ver­teil­te zu sei­nem Vor­trag ein Papier „für eine Gesetz­re­form zum Schwan­ger­schafts­ab­bruch“ mit fol­gen­den Punk­ten:

  • Heu­ti­ge Geset­zes­la­ge (gesamt­deut­scher „Kom­pro­miss“ von 1995) und ihr Hin­ter­grund (1871: Zucht­haus­stra­fe für Abtrei­bung); seit den 1970er Jah­ren gene­rell (Aus­nah­me: bei Indi­ka­ti­on) in West­deutsch­land unver­än­dert rechts­wid­rig, aber unter bestimm­ten Bedin­gun­gen straf­frei: der­zeit inner­halb von 12 Wochen nach einer ver­pflich­ten­den Bera­tung plus min­des­tens drei­tä­gi­ger War­te­zeit. Dies­be­züg­lich: Still­stand in der BRD trotz Reform­vor­schlä­gen. Pro­ble­ma­ti­sche Ver­sor­gungs­la­ge: Ver­wei­ge­rung von Abbrü­chen in kirch­lich, beson­ders katho­lisch getra­ge­nen Kli­ni­ken als Teil­pro­blem.
  • Vor­ge­burt­li­cher Lebens­schutz als reli­gi­ös-katho­li­sches Argu­ment: Ein­wand der Sün­de. Ehe­mals und seit Mit­tel­al­ter gilt Besee­lung des Unge­bo­re­nen ca. ab 90. Tag – heu­te will­kür­lich als Drei­mo­nats­frist qua­si über­nom­men; 1869 dann bereits Besee­lung von Anfang an (nach ers­tem Vati­ka­ni­schen Kon­zil zur Unfehl­bar­keit des Paps­tes und „Abwehr von modern-ratio­na­len Irr­tü­mern“) – heu­te im § 218 StGB über­nom­men als Lebens­schutz­ge­bot ab Ein­nis­tung der befruch­te­ten Eizel­le in den Ute­rus. Hier­zu gegen­läu­fig zuneh­men­de Ein­sich­ten der moder­nen Natur­wis­sen­schaft: Bewer­tung von stu­fen­wei­ser Ent­wick­lung (des frü­hen Embry­os nicht als mensch­li­ches Wesen, son­dern dann zuneh­mend des Fetus hin zu einem neu­ge­bo­re­nen Men­schen). Zudem vor allem Ent­wick­lun­gen von Frau­en- und Per­sön­lich­keits­rech­ten seit den 1970er Jah­ren: Selbst­be­stim­mung der Schwan­ge­ren und ihre „Mün­dig­keit“ zur eige­nen Ent­schei­dung wird zu einem tra­gen­den Gesichts­punkt.
  • Zwei Schluss­fol­ge­run­gen / For­de­run­gen: 1.) Her­aus­nah­me aus Straf­recht: StGB dient hier unzu­läs­sig als „sozi­al-ethi­sche Unwert-Erklä­rung“ zur Abschre­ckung („Stig­ma­ti­sie­rung“) von abtrei­bungs­be­rei­ten Ärzt*innen (ohne bei einer der jähr­lich rund 100.000 – an sich rechts­wid­ri­gen – Abbrü­chen tat­säch­lich bestraft wor­den zu sein); rechts­dog­ma­tisch wider­sprüch­lich; Staat ist in mora­li­schen Fra­gen zu welt­an­schau­li­cher Neu­tra­li­tät ver­pflich­tet!  2.) Aus­wei­tung der Frist für lega­le Abbrü­che bis zur 20./24. Woche (auf­grund vor­ge­burt­li­cher „Wen­de­punk­te“ wie Schmerz­wahr­neh­mung / Über­le­bens­fä­hig­keit außer­halb des Ute­rus).
  • Spät­ab­brü­che auf­grund von prä­na­ta­ler Dia­gnos­tik: Vor 1995 waren qua eigen­stän­di­ger „genetischer/ fetopa­thi­scher“ Indi­ka­ti­on Abbrü­che recht­mä­ßig bis zur 22. Woche. (Dann Her­aus­nah­me die­ser Indi­ka­ti­on auf Drän­gen von Kir­che und Behin­der­ten­be­we­gung.) Seit 1995 sind Abbrü­che intrans­pa­rent (!) auf­grund fetopa­thi­scher Schä­di­gung sub­su­miert unter die Indi­ka­ti­on auf­grund unzu­mut­ba­rer Gesund­heits­ge­fähr­dung der Schwan­ge­ren (als sol­che dann unbe­grenzt recht­mä­ßig und durch­führ­bar durch „Feto­zid“ bis zur Geburt).

Zwei Fachärztinnen mit jahrzehntelanger Erfahrung

Aus Sicht der Pra­xis kamen nun die bei­den ein­ge­la­de­nen ärzt­li­chen Exper­tin­nen aus­gie­big zu Wort:  Dies war zum einen Frau Dr. Gabrie­le du Bois (Ver­tre­te­rin vom Deut­schen Ärz­tin­nen­bund), Fach­ärz­tin aus Stutt­gart mit jahr­zehn­te­lan­ger Erfah­rung u. a. als Bera­te­rin zu human­ge­ne­ti­schen Fra­gen. Ihre Kol­le­gin Dr. Mari­on Jan­ke war lang­jäh­ri­ge Geschäfts­füh­re­rin von pro fami­lia Stutt­gart und zudem auf Lan­des­ebe­ne Lei­te­rin einer Infor­ma­ti­ons- und Ver­net­zungs­stel­le zu Prä­na­tal­dia­gnos­tik.

Die Lage in Baden-Würt­tem­berg habe sich (ähn­lich wie in Bay­ern) bun­des­weit gese­hen beson­ders ver­schlech­tert, schil­der­ten bei­de über­ein­stim­mend.  Vor allem katho­li­sche Stel­len geben kei­ne Beschei­ni­gung für einen straf­frei­en Abbruch aus und wer­den den­noch aus dem gesetz­lich gede­ckel­ten Pool für Schwangerschafts(konflikt)beratung finan­ziert. Ein Bei­spiel für die Schwie­rig­kei­ten ohne­hin belas­te­ter Frau­en sei der Antrag auf Kos­ten­über­nah­me durch das Land bei nach § 218 rechts­wid­ri­gen (dabei aber straf­be­frei­ten) Abbrü­chen. Es gilt dabei eine strik­te Ein­kom­mens­gren­ze bis 1500 € net­to. Bei höhe­rem Ver­dienst muss je nach Metho­de zwi­schen 350 und gut 600 € selbst bezahlt wer­den, da es kei­ne Finan­zie­rung durch die Kran­ken­kas­sen gibt.

Die aktu­el­len Straf­rechts­pa­ra­gra­fen 218 ff. wür­den bedeu­ten, dass Schwan­ge­re, die einen Abbruch in Erwä­gung zie­hen, vie­le Hür­den zu über­win­den haben. Hin­ge­gen wür­de eine Lega­li­sie­rung die Bereit­schaft von Ärzt*innen und die Aus­bil­dungs­si­tua­ti­on för­dern, sodass bald auch wie­der hin­rei­chend orts­na­he Abbrü­che mög­lich wür­den. Pflicht­be­ra­tung und War­te­frist hät­ten auch Aus­wir­kun­gen auf die Metho­de der Abtrei­bung: Medi­zi­nisch kann nur bis zur neun­ten Woche – statt eines ope­ra­ti­ven – ein i. d. R. zu bevor­zu­gen­der medi­ka­men­tö­ser Abbruch erfol­gen. Der zeit­li­che Druck füh­re zu einer zusätz­li­chen Belas­tung. Die Annah­me von Bera­tung soll­te jeden­falls in der Früh­pha­se frei­wil­lig und nicht ver­pflich­tend sein. Dis­ku­tiert wur­de, ob es ange­sichts der kon­ti­nu­ier­li­chen Ent­wick­lung „unge­bo­re­ner mensch­li­cher Wesen“ über­haupt star­re Fris­ten­re­ge­lun­gen (auf­grund wel­cher Wen­de­punk­te?) geben soll­te.

Rechtsausschuss und Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes

Die Dipl.-Psychologin Gita Neu­mann (Ber­lin), Bun­des­be­auf­trag­te des Huma­nis­ti­schen Ver­ban­des Deutsch­lands für Medi­zin­ethik, hielt ein Co-Refe­rat. In die­sem berich­tet sie (aus­führ­lich nach­zu­le­sen in ihrem dies­seits-Arti­kel) über die Sit­zung des Recht­aus­schus­ses, womit das Ende des vor­lie­gen­den Gesetz­ent­wurfs vom Novem­ber 2024 besie­gelt war. In der Anhö­rung war die­ser noch als allei­ni­ger Tages­s­ord­nungs­punkt von sach­ver­stän­di­gen Befürworter*innen wie Gegner*innen ana­ly­siert und bewer­tet wor­den. Dabei galt er im Bun­des­tag als ver­mut­lich mehr­heits­fä­hig. Denn es han­del­te sich um einen Mini­mal­kon­sens, der die Rege­lung von Abbrü­chen aus dem Kern­straf­recht des StGB her­aus­lö­sen und ins Schwan­ger­schafts­kon­flikt­ge­setz ein­fü­gen woll­te – dort auch als soge­nann­tes Neben­straf­recht. Die­ses sah bei nicht ein­ge­hal­te­nen Regu­la­ri­en wei­ter­hin eine ärzt­li­che Bestra­fung von bis zu drei Jah­ren Gefäng­nis vor (was in einer nach­ge­reich­ten theo­lo­gi­schen Stel­lung­nah­me der EKD bei die­sem ewig  „unauf­lös­ba­ren Kon­flikt“ im Ange­sicht Got­tes grund­sätz­lich begrüßt wur­de – wor­auf Prof. Dr. Kreß in Stutt­gart hin­wies). 

Der Gesetz­ent­wurf der par­la­men­ta­ri­schen Grup­pen­in­itia­ti­ve über­nahm zudem auch die Frist von nur 12 Wochen mit Pflicht­be­ra­tung als Vor­aus­set­zung für recht­mä­ßi­ge Abbrü­che. Er blieb inso­fern weit zurück hin­ter den For­de­run­gen von zivil­ge­sell­schaft­li­chen Orga­ni­sa­tio­nen sowie frau­en­recht­li­chen Akti­vis­tin­nen – wur­de jedoch von allen bis zuletzt mas­siv unter­stützt. Denn es hat­te sich ja die Chan­ce erge­ben, den lang bekämpf­ten Para­gra­fen § 218 im StGB mit sei­ner grund­sätz­li­chen Rechts­wid­rig­keit aller nicht indi­zier­ten Abbrü­che end­lich los­zu­wer­den.

Im Rechts­aus­schuss war die Auf­fas­sung der gela­de­nen Sach­ver­stän­di­gen 50:50 kon­tro­vers, als es um die Fra­ge ging: Wür­de das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt heut­zu­ta­ge Abstand neh­men von sei­nem bis­he­ri­gen Men­schen­wür­de­ge­bot, wel­ches für den Embryo ab Emp­fäng­nis zu gel­ten habe (also bereits für ein Zell­häuf­chen von weni­ger als einem Mil­li­me­ter)? Dabei geht der seit 1995 gel­ten­de § 218 StGB aus dem Grund­satz­ur­teil des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­rich­tes von 1993 her­vor, wel­ches wie­der­um auf einem von 1975 fußt – in bei­den Fäl­le war ein zuvor in Kraft getre­te­nes libe­ra­le­res Gesetz zum Schwan­ger­schafts­ab­bruch dadurch gekippt wor­den.

Politischer Ausblick: Würdeschutz für Menschen, nicht für Zellhäufchen  

Die Uni­on hält am Sta­tus quo des § 218 StGB fest (die AfD will die­sen noch ver­schär­fen). Es soll ganz all­ge­mein und undif­fe­ren­ziert dar­um gehen, soge­nann­tes unge­bo­re­nes Leben zu schüt­zen – was ein­deu­tig von reli­giö­sen Hin­ter­grün­den geprägt ist. Dabei ist in der StGB-Rege­lung der Wür­de-Sta­tus des frü­hen Embry­os unan­ge­mes­sen über­höht und ver­ab­so­lu­tiert – er bedür­fe als beson­ders vul­nerabel um sei­ner selbst wil­len den Schutz „des sich als Mensch ent­wi­ckeln­den Lebens“. Dem­ge­gen­über wer­den Tötun­gen hoch­ent­wi­ckel­ter Feten, die sich dem Sta­tus des gebo­re­nen Kin­des zuneh­mend nähern, tabui­siert. Dabei wird der prä­na­tal­dia­gnos­ti­sche Befund etwa einer Behin­de­rung des Fetus unter­schwel­lig der Indi­ka­ti­on zuge­schrie­ben, die sich zur Recht­mä­ßig­keit von Spät­ab­brü­chen aus­schließ­lich auf eine Gesund­heits­ge­fähr­dung und unzu­mut­ba­re Belas­tung der Frau bezieht. In Wirk­lich­keit jedoch han­delt es sich – bei zuvor gewünsch­tem Kind – um eine fetopa­thi­sche Indi­ka­ti­on, die aber nicht mehr als sol­che bezeich­net, bespro­chen oder über­haupt the­ma­ti­siert wer­den soll.

Die­ser ver­schlei­er­te Wider­spruch beim Lebens­schutz in einer Rege­lung, die von vie­len als sta­bi­ler gesell­schaft­li­cher Kom­pro­miss geprie­sen wird, soll­te auch (oder sogar gera­de) den Abge­ord­ne­ten von CDU und CSU zu den­ken geben. Es geht um das Über­zeugt-Wer­den einer Mehr­heit der Mit­glie­der des neu­en Bun­des­tags, die trotz der brei­ten Pro­test­be­we­gun­gen – genau wie ande­re Lai­en – ent­spre­chend ver­wirrt sein kön­nen: Belas­tung von unge­wollt Schwan­ge­ren durch War­te­frist und Ver­sor­gungs­pro­blem auf­grund Stig­ma­ti­sie­rung? Recht­mä­ßig­keit bei Indi­ka­ti­on und Kri­mi­na­li­sie­rung durch Pflicht­be­ra­tung? Lega­li­sie­rung ange­sichts Trans­for­ma­ti­on der StGB-Rege­lung ins Schwan­ger­schafts­kon­flikt­ge­setz?

Ins­be­son­de­re der juris­ti­sche Wider­spruch zwi­schen „rechts­wid­rig und nicht straf­bar“ ist – seit 1995 mit mil­lio­nen­fa­chen „lega­len“ (?) Abtrei­bun­gen – in sei­ner unheil­vol­len Bedeu­tung nicht unbe­dingt leicht ver­mit­tel­bar. In Stutt­gart brach­te am Ende der Ver­an­stal­tung Miri­am Mer­tens spon­tan eine mög­li­che neue Paro­le so auf den Punkt: „Wür­de- und Lebens­schutz für Men­schen – und nicht für Zell­häuf­chen!“

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