Der Humanistische Verband drückte darüber in einer Presseerklärung unter der Überschrift „Nicht einmal ein Minimalkonsens schafft die Hürde vom Rechtsausschuss ins Plenum“ seine Enttäuschung aus. Dabei hatten über 320 Abgeordnete den Gruppenantrag mitgezeichnet, der das Thema Schwangerschaftsabbrüche aus dem Kernstrafrecht des StGB herauslösen und ins Schwangerschaftskonfliktgesetz einfügen wollte. Der Gesetzentwurf galt insbesondere mit der Übernahme einer Frist von nur 12 Wochen für rechtmäßige Abbrüche (statt mindestens von 18 Wochen wie etwa in Skandinavien oder 22–24 Wochen wie in den Niederlanden) wohl als im Bundestag mehrheitsfähig.
Der Humanistische Verband Deutschlands erhielt auf seinen Wahlprüfstein zum Thema Schwangerschaftsabbruch Antworten von den angefragten Parteien (siehe unten als Kasten). Um ihre jeweilige (partei-)politische Position wissenschaftlich zu untermauern, waren wie immer von den (im Bundestag vertretenen) Fraktionen proporzgemäß die Sachverständigen für den Rechtsausschuss benannt worden. Die meisten von ihnen sind renommierte Universitätsprofessor:innen.
Die Sachverständigen, soweit einerseits von der Union und andererseits von Grünen und SPD ausgewählt, widersprachen einander. Dies galt sowohl für Praxisprobleme, grundlegende Werte, juristische Ausführungen als auch ganz besonders für die Frage, ob das Bundesverfassungsgericht von seinem bisherigen klaren Menschenwürdegebot bereits für den frühen Embryo heutzutage Abstand nehmen würde. Es dürfte hilfreich sein, um sich für die Abschaffung von § 218 StGB neu aufzustellen und sich gegen eine Union mit Kanzlermehrheit zu wappnen, auch die ablehnenden Argumente der Expert:innen aus den Bereichen Gynäkologie und Verfassungsrecht zur Kenntnis zu nehmen.
Worin bestand der im Rechtsausschuss debattierte Gesetzentwurf?
Der moderate Reformvorschlag von Wegge, Schauws u.a. war durch eine fraktionsübergreifende Abgeordnetengruppe maßgeblich von SPD und Grünen eingebracht sowie von den Linken unterstützt worden. Der Gesetzesantrag ist durch die Wahl passé und gilt somit nicht mehr als im Bundestag vorliegend. Im Kern sah er vor, unter Beibehaltung der Beratungspflicht Schwangerschaftsabbrüche für die Frühphase nicht nur (wie gegenwärtig) für strafbefreit, sondern ausdrücklich für rechtmäßig zu erklären. Auf die Auflage einer dreitägigen Bedenkzeit wurde dabei verzichtet.
Doch was sollte dann für die anschließenden Phasen, etwa ab 13. Woche (nach Empfängnis) gelten? Für diese wurde im vorgeschlagenen neuen Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchwKG) mittels dort eingeführtem § 14 für Ärzt:innen die im § 218 StGB bestehende Strafe beibehalten. Auch die in § 218 a StGB aufgeführte „medizinischen Indikation“ (als Ausnahmebedingung von der Rechtswidrigkeit) wurde wortgetreu übernommen. Die in Deutschland rund 4.000 Spätabbrüche ab der mittleren und späten Schwangerschaft sollten weiterhin nur – wie bisher im § 218 a StGB – bei einer „medizinische Indikation“ für Ärzt:innen legal sein. Ansonsten sollte ihnen dann (und auch wenn es keine Beratungsbescheinigung innerhalb der 12 Wochen gibt!) eine Strafe bis zu drei Jahren Gefängnis drohen – genau wie im § 218 StGB vorgesehen. Dies alles wurde im Gesetzentwurf beibehalten – überführt nunmehr als „Nebenstrafrecht“ in Ergänzung des SchwKG.
Zu dem vorgelegten Gesetzentwurf fand nur noch die Anhörung im Rechtsausschuss statt – aber keine Abstimmung mehr im Bundestag. Er war zwar hinter den Forderungen von zivilgesellschaftlichen Organisationen (wie auch des Humanistischen Verbandes Deutschlands) und frauenrechtlichen Aktivistinnen teils weit zurückgeblieben – die ihn gleichwohl aus strategischen Gründen bis zuletzt massiv unterstützten. Denn es hatte sich die Chance ergeben, den lang bekämpften Paragrafen § 218 im StGB endlich loszuwerden. (Laut Gesetzentwurf sollte dieser allerdings bestehen bleiben – nunmehr umgekehrt als Tatbestand eines Schwangerschaftsabbruchs ohne oder gegen den Willen der Schwangeren.)
Ist wirklich schon alles ausdiskutiert?
Der Entwurf hat den „Weg-mit“-Forderungen Rechnung getragen, dass der bestehende § 218 StGB abgeschafft gehört und dass dazu (seit mehr als 100 Jahren!) doch bereits grundsätzlich alles gesagt worden sei. Aber stimmt das auch – etwa für die Spätabbrüche bei vorher bestehendem Kinderwunsch aufgrund einer pränatal diagnostizierter Schädigung? Hochentwickelte oder gar eigenständig lebensfähige Ungeborene können nur noch durch Fetozid (Tötung im Uterus) mit anschließender Totgeburt fachärztlich abgetrieben werden.
Laut Mahnung im Abschlussbericht der von der Ampelregierung eingesetzten Kommission zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs (siehe S. 28) fehlen für diese Fälle „gesetzliche Kriterien zur Beurteilung der Frage, unter welchen Voraussetzungen … ein Schwangerschaftsabbruch durch Fetozid … zulässig ist oder sich Belastungen durch die Verantwortung für das Kind nach der Geburt zumutbar dadurch abwenden lassen, dass die Frau das Kind zur Welt bringt und ggf. zur Adoption freigibt.“ Gegenwärtig würden fetopathische Befunde „intransparent“ bewertet als Unterfall der „medizinischen Indikation“, heißt es dort weiter. Bei dieser geht es laut § 218 a StGB jedoch ausschließlich bei der Frau um eine so gravierende Gesundheitsgefährdung, dass ein Abbruch prinzipiell nicht als unrechtmäßig und auch bis zur Geburt nicht als strafbar gelten kann. Der Humanistische Verband hatte in einer Veranstaltung speziell zu Spätabbrüchen am 29. Januar versucht, dieses heikle, belastende und tabuisierte Thema in einer Veranstaltung unter verschiedenen Aspekten zur Sprache zu bringen.
Einige Sachverständige erwähnten im Rechtsausschuss ausdrücklich, sich nur auf die vorgesehenen Neuerungen in der Frühphase bis zur 12. Woche zu beziehen, da der vorliegende Gesetzentwurf darüber hinaus ja alles beim Alten beließe.
Die folgenden Zitate, sofern nicht gesondert ausgewiesen, sind dem stenografischen Protokoll der Sitzung des Rechtsausschusses vom 10.2.2025 entnommen.
Die „Pro-Choice“ Stellungnahmen im Rechtsausschuss
In der Anhörung wurden die wohl wichtigsten Argumente für die außerstrafrechtliche Reform in der Stellungnahme vom Team der ELSA-Studie vorgebracht. Die Forschungsergebnisse trug deren wissenschaftliche Mitarbeiterin Rona Torenz vor. Danach gibt es 85 unter den 400 Landkreisen, in denen nicht innerhalb von 40 Autominuten eine Einrichtung zu erreichen ist, die Abbrüche vornimmt. In Bayern wohnten 2,5 Millionen Menschen außerhalb dieser Erreichbarkeit. Grundsätzlich sei die Situation im Südwesten bedeutend schlechter als im Nordosten. „Aus der ELSA-Befragung wissen wir“, fuhr Torenz fort, „dass eine große Mehrheit der Personen mit Schwangerschaftsabbruch Stigmatisierung erfährt … mit einem geringeren psychischen Wohlbefinden nach dem Schwangerschaftsabbruch“ – begleitet von Scham- und Schuldgefühlen. „Neben den ungewollt Schwangeren ist auch ein Großteil der Ärztinnen und Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, von Stigmatisierung betroffen.“ Durch die Verortung im Strafrecht wären für sie unnötig Hürden durch behördliche Auflagen zu überwinden. Die „Rechtswidrigkeit des indikationslosen Schwangerschaftsabbruchs“ wirke sich jedenfalls negativ aus, ungeachtet dessen, dass es jahrzehntelang so gut wie „keine Verurteilungen nach § 218 StGB gibt“. Eine Rechtmäßigkeit ändere zudem die folgende Situation: „Derzeit werden die Kosten des Eingriffs nicht regulär von den Krankenkassen bezahlt. Stattdessen können und müssen ungewollt Schwangere mit niedrigem Einkommen einen gesonderten Antrag auf Kostenübernahme durch die Länder stellen.“
Alicia Baier, Ärztin und im Bereich Weiterbildung Gynäkologie tätig, Mitglied im Vorstand des Vereins Doctors for Choice Germany mit knapp 300 Mitgliedern und bekennende Feministin, betonte die Evidenzbasierung des Gesetzentwurfs. Es sei vielfach wissenschaftlich belegt worden, dass durch die Legalisierung Abbrüche nicht häufiger, sondern – wie ja wünschenswert – früher stattfinden würden. „Zudem verbessert der Gesetzentwurf die Arbeitsbedingung der durchführenden Ärztinnen und Ärzte und legt die Basis, dass Schwangerschaftsabbrüche in die medizinische Aus- und Weiterbildung integriert werden können“, sagte sie.
Beate von Miquel, Vorsitzende des Deutschen Frauenrats, empörte sich im Nachgang zur Rechtsausschussanhörung über die verhinderte Abstimmung des Gruppenantrags zur Neuregelung von Schwangerschaftsabbrüchen. Von der Politik sei „in Zeiten zunehmenden Rechtsrucks“ zu fordern, die „demokratische Kultur im Parlament“ ebenso wie „die Gesundheit ungewollt Schwangerer“ bestmöglich zu schützen. Im Rechtsausschuss hatte sie argumentiert: „Der für die UN-Frauenrechtskonvention zuständige CEDAW-Ausschuss betont immer wieder, dass die Kriminalisierung und die Verzögerung sicherer Abbrüche als eine Verletzung von Frauenrechten gewertet werden kann.“ Alles sei nun „wirklich ausreichend diskutiert worden“ und ein Gesetz endgültig abstimmungsreif. Schließlich würden 80 Prozent der Gesellschaft die Entkriminalisierung befürworten. (Anmerkung G.N.: In der öffentlichen Debatte wird unterschlagen, dass es je nach Kontext und alternativen Antwortmöglichkeiten durchaus andere Befragungsergebnisse gibt. So haben sich 2023 laut Politbarometer des ZDF 54 Prozent der Befragten dafür ausgesprochen, dass die derzeitige Regelung des Schwangerschaftsabbruchs weiter gelten solle.)
Stellungnahme des Sachverständigen der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe
Mit der Ladung von Prof. Matthias David, Gynäkologe (der selbst Schwangerschaftsabbrüche vornimmt) und geschäftsführender Oberarzt an der Charité, scheint der CDU ein Coup gelungen zu sein. Er ist Koordinator für die aktuelle Leitlinie zum Schwangerschaftsabbruch der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), einer renommierten Fachgesellschaft mit rund 10.000 Mitgliedern, und hat unlängst die Ausgabe „Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland“ im Bundesgesundheitsblatt editiert.
David betont die Besonderheit dieses medizinischen Eingriffs: „Beim Schwangerschaftsabbruch – nach Beratung und Bedenkzeit – handelt es sich um eine in der modernen Medizin einzigartige Operation, auch wenn sie vom technischen Ablauf her mit dem operativen Vorgehen bei der Fehlgeburt identisch ist.“ Anhand von Studien mit fachärztlicher Expertise und seiner 30-jährigen Praxiserfahrung relativiert er die ELSA-Forschungsergebnisse und zieht sie in Zweifel: Eine flächendeckende und gute Versorgung sei in Deutschland durchaus gegeben und das Erreichbarkeitskriterium von 40 Autominuten wohl hinterfragbar. Auch Hinweise auf eine Verschlechterung der Versorgung gebe die Datenlage von ELSA nicht überzeugend her. Wie Untersuchungen von ihm selbst erbracht hätten, „nimmt die Häufigkeit medikamentös durchgeführter Schwangerschaftsabbrüche zu, so dass die Notwendigkeit von stationär durchgeführten oder gar operativen abnimmt.“ (Anmerkung G.N.: die Dt. Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe hatte mit dem Berufsverband der Frauenärzte in einer gemeinsamen Stellungnahme vom April 2024 durchaus eine teils schwierige Versorgungsrealität konstatiert – diese sei aber „nicht automatisch, und vor allem nicht zeitnah, durch eine juristische Neuregelung des § 218 zu verbessern.“)
Davids schriftliche Stellungnahme für den Rechtsausschuss liest sich wie eine wissenschaftliche Abhandlung – jedenfalls mit mehr als zwei Dutzend Literaturangaben. Er sieht auch keinen Grund, Abbrüche stärker in Studium und Weiterbildung thematisieren zu müssen, um auf lange Sicht mehr Gynäkologinnen und Gynäkologen für die Durchführung einer Abruptio zu gewinnen. Schwangerschaftsabbrüche seien seit vielen Jahren fest verankert in der Aus- und Weiterbildung. Es träfe nicht zu, „dass hier ein Erlernen des operativen Schwangerschaftsabbruchs in irgendeiner Weise nicht erfolgen kann.“ Dieser sei ja zum gynäkologischen Ausbildungsmodul bei Fehlgeburten mittels Saugkürettage analog.
Zur medizinischen Sonderstellung führt David aus: Mit dem „auf Wunsch von ungewollt Schwangeren durchgeführten Schwangerschaftsabbruch werden in den allermeisten Fällen gesunde Frauen, respektive keine Krankheiten behandelt und werden gesunde Embryos beseitigt.“ Er sei deshalb nicht stolz darauf, respektiere aber medizinethisch voll die Selbstbestimmung der Frauen und habe sich dabei „nie gefragt, ob ich gerade eine strafbare Handlung durchführe oder eine rechtswidrige, aber straffreie.“ In der Fragerunde meint er zu wissen: Die Kolleginnen und Kollegen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, fühlen sich mitnichten diskriminiert – das sei eine theoretische Erwägung aus juristischer Sicht. Daran anschließend räumt Rona Torenz als Vertreterin der ELSA-Studie ein: Tatsächlich hätten von den dort befragten Ärzt:innen nur 3 Prozent angegeben, dass ein strafrechtliches Risiko der Grund sei, keine Schwangerschaftsabbrüche durchführen zu wollen. Sie insistiert auf den von Ärzten stattdessen angeführten Barrieren, weil der Schwangerschaftsabbruch „ganz grundsätzlich nicht wie andere medizinische Dienstleistungen behandelt“ würde.
Stellungnahmen der beiden von SPD und Grünen benannten Juristinnen
Zustimmend äußerte sich die Expertin für Öffentliches Recht, Prof. Frauke Brosius-Gersdorf von der Universität Potsdam zum Reformentwurf, in dem eine eigene verfassungsrechtliche Neubewertung vorgenommen werden dürfe. In ihrer schriftlichen Stellungnahme heißt es: „Die geltenden Strafvorschriften zum Schwangerschaftsabbruch (§§ 218 ff. StGB) sind maßgeblich geprägt durch zwei Urteile des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Februar 1975 und vom 28. Mai 1993.“ Das Bundesverfassungsgericht habe darin entschieden, „dass ein Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich für die gesamte Dauer der Schwangerschaft rechtswidrig – wenngleich nicht zwingend strafbar – ist und Ausnahmen nur bei Unzumutbarkeit der Fortsetzung der Schwangerschaft wie der medizinischen, der kriminologischen und der embryo- bzw. fetopathischen Indikation gelten.“
In der Anhörung vertrat Brosius-Gersdorf mündlich die Auffassung: „In der Gegenüberstellung und Gewichtung mit den Grundrechten der Schwangeren tritt das Lebensrecht des Embryos in der Frühphase der Schwangerschaft aber zurück.“ (Anmerkung G.N.: Auch der Humanistische Verband Deutschlands positioniert sich maßgeblich für einen zunehmenden Schutzanspruch je nach Entwicklungsstand des Fetus. Bezeichnenderweise war ein solches „Stufenmodell“ der Hauptangriffspunkt eines von der AfD benannten „Lebensschutzvertreters“ bei der Anhörung.)
Als zweite (von den Grünen geladene) juristische Expertin begrüßte die Juristin Prof. Liane Wörner von der Universität Konstanz den Gesetzentwurf. Sie sprach einen radikalen Perspektivenwechsel an, der im zur Debatte stehenden Gesetzentwurf daran deutlich würde: Umgekehrt zur bisherigen Kriminalisierung bedürfe es nunmehr des Strafrechtparagrafen 218 zum Schutz der Schwangeren und dabei auch „vor der Nötigung gleichermaßen zum Abbruch wie zu dessen Unterlassung.“ Als Strafmaß (also auch bei einer Nötigung, den Abbruch nicht durchführen zu lassen) hat der Gesetzentwurf ein Strafmaß von sogar 10 Jahren Gefängnis vorgesehen. (Anmerkung G.N.: Dies hat der Medizin- und Biorechtler Prof. Gunnar Duttke in einem Gutachten als widersinnig und handwerklich verfehlt dargestellt, da es bereits im § 240 StGB einen speziellen Nötigungstatbestand zum Schwangerschaftsabbruch mit Strafe zwischen mindestens 6 Monaten bis 5 Jahren gäbe.)
Stellungnahmen der von der Union und FDP benannten Jurist:innen
Eine Verfassungsmäßigkeit kritisierte die vier von der CDU/CSU sowie der FDP vorgeschlagenen juristischen Lehrstuhlinhaber:innen (Kubiciel und Thüsing sowie Gaede und Rostalski) teils massiv: Die Leitentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts seien nicht durch Standards internationaler Entwicklungen überholt oder über die Jahre veraltet. Jedenfalls dürfe über sie nicht einfach „nonchalant“ hinweggegangen werden. Die derzeitige Rechtslage würde hinreichend für Schwangerschaftsabbrüche Straffreiheit zusichern, was die jährlich rund 100.000 legalen Fälle belegten.
Kritische bewertet wurde die gängige frauenrechtliche Aussage, die sich auch im Begründungstext des Gesetzentwurfs wie folgt findet: „Die aktuelle Rechtslage in Deutschland widerspricht Vorgaben und Standards des internationalen Rechts“ (wie etwa dem oft genannten CEDAW-Ausschuss der UN-Frauenrechtskonvention). Kritisiert wurde die mangelnde Präzisierung, was damit eigentlich gemeint sei (Vollständige „Entkriminalisierung“ durch Abschaffung einer entmündigenden Beratungspflicht und verzögernden dreitägigen Bedenkfrist?). Deutschland wäre zwar dazu angehalten, europa- und völkerrechtliche Vorgaben des Menschenrechtsschutzes bei der Auslegung der Grundrechte zu berücksichtigen. Eine deutliche Grenze zur Umsetzung der Empfehlungen sei allerdings stets das nationale Verfassungsrecht, mit dem die Vorgabe in Einklang zu stehen habe.
Besonders scharf kritisierte Prof. Gregor Thüsing, Mitglied des Deutschen Ethikrats, von der Universität Bonn den Gesetzentwurf. Mit ihm werde eine „Brandmauer“ eingerissen. Aus seiner Sicht sei der Entwurf „mitnichten minimalinvasiv oder ausgewogen“, sondern senke „radikal“ den Schutz „des sich als Mensch entwickelnden Lebens“, so Thüsing.
Demgegenüber befand Prof. Karsten Gaede von der Bucerius Law School in Hamburg: Das Bundesverfassungsgericht unterstelle, dass der Körper der Schwangeren prinzipiell „fremdnützig zur Erfüllung von Schutzzielen verfügbar und eine Austragungspflicht damit grundsätzlich zumutbar sei“. Jedoch sei eine Pflicht zur Austragung der „dauerhaft identitätsprägenden und den Körper fundamental umwandelnden Schwangerschaft“ zumindest in der Frühphase nicht begründet, resümierte Gaede.
Der Gesetzentwurf sei rechtspolitisch verfehlt, urteilte Prof. Michael Kubiciel von der Universität Augsburg. Er verändere die Rechtslage für Ärzte gar nicht. Denn diese könnten ja schon „beratene und indizierte Abbrüche“ im Sinne der bestehenden Rechtsordnung legal vornehmen und würden andernfalls auch gemäß Gesetzentwurf genauso bestraft wie bisher. Die Abschaffung der obligatorischen Bedenkzeit von drei Tagen widerspreche dem eigentlichen Selbstbestimmungszweck, ggf. neue Aspekte nach erfolgter Beratung zu reflektieren und sei zudem auch nicht erforderlich.
Für (die von der FDP benannte) Prof. Frauke Rostalski, Mitglied im Deutschen Ethikrat, von der Universität zu Köln gibt es keine Veranlassung dafür, an der geltenden Rechtslage zu rütteln. Weder empirisch noch normativ habe sich in Sachen Schwangerschaftsabbruch etwas geändert, „das nicht bereits ausführlich durch das Bundesverfassungsgericht in dessen Entscheidungen einbezogen wurde“, sagte sie. Für die Strafrechtsprofessorin und Rechtsphilosophin wäre es „an der Zeit – anstatt immer wieder die alte Frage der Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen zu diskutieren“ – die Selbstbestimmung Schwangerer „durch tatsächlich dazu geeignete Maßnahmen“ zu fördern. Hierzu bedürfe es „eines gesellschaftlichen Umdenkens und der ernstlichen Bereitschaft, soziale Missstände zu beheben, die derzeit insbesondere Alleinerziehende und die Kinder einkommensschwacher Eltern betreffen.“
Fazit aus Sicht der Autorin
Rechtswidrigkeit, Stigmatisierung und Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs durch § 218 StGB sind als negative und beschränkende Bedingungen zu verstehen, die sich auf die schlechte Versorgungslage auswirken. Diese ist aber nicht direkt aus der im Strafrecht verankerten Rechtswidrigkeit abzuleiten. So kann mit dessen Aufhebung – zumal nur in den ersten 12 Wochen nach Empfängnis – umgekehrt auch nicht mit schnellen Verbesserungen für ungewollt Schwangere und abtreibungswillige Ärzt:innen gerechnet werden.
Wie immer bei „Ethikfragen“ wird es erneut um Gruppenanträge von Abgeordneten verschiedener Parteien ohne sogenannten „Fraktionszwang“ im Bundestag gehen. Dort bedarf es langwieriger persönlicher Gespräche über bestehende Abgrenzungen hinweg mit allen prinzipiell veränderungsbereiten Kolleg:innen. Zwar hält die Union am Status quo des § 218 StGB fest (die AfD will diesen noch verschärfen) und gilt als der entscheidende Bremser. Aber es kommt nicht unbedingt darauf und die neue Koalition an – sondern auf die Zusammensetzung des Bundestages (jetzt auch mit der erstarkten Linken) und auf das Überzeugt-Sein und Überzeugt-Werden der einzelnen Abgeordneten.
Parteiantworten zum Wahlprüfstein „Schwangerschaftsabbruch“ des Humanistischen Verbandes Deutschlands
Die an den Humanistischen Verband Deutschland gerichteten Kernaussagen zu seinem entsprechenden Wahlprüfstein lauteten zunächst von der FDP und der Union:
Von der FDP für eine Weiterbehandlung des Themas (statt kurzfristiger Abstimmung noch zu Ende der letzten Legislatur): „Eine Reform der Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch (§§ 218, 218a StGB) soll im Wege von sogenannten fraktionsübergreifenden Gruppenanträgen … im nächsten Bundestag beraten werden“. Von der CDU/CSU für den Status quo des § 218, der vor zu schnellen Entscheidungen bewahren soll: „Wir setzen uns für die Beibehaltung des geltenden, lange erstrittenen parteiübergreifenden gesellschaftlichen Kompromisses in Form der verpflichtenden, aber neutralen und ergebnisoffenen Beratungslösung ein.“
Demgegenüber sprechen sich die Parteien der Abgeordneten, die den Gruppenantrag zur Reform des Schwangerschaftsabbruchs unterstützt hatten, alle für eine Entkriminalisierung und für verbesserte Versorgung, Ausbildung oder Kostenübernahme durch die Krankenkassen aus. Im Folgenden soll es deshalb nur um die spezifischen Unterschiede bei den Kernaussagen gehen:
SPD für eine grundgesetzliche Abwägung: „Frauen haben ein Recht auf reproduktive Selbstbestimmung … Wir sprechen uns für eine alternative Regulierung von Schwangerschaftsabbrüchen … mit einem besseren Schutzkonzept für das ungeborene Leben aus. … Ein Abbruch der Schwangerschaft nach Ende der 12. Woche soll rechtswidrig bleiben.“ Grüne für eine gendergerechte Selbstbestimmung: „Forschung, Ausbildung und medizinische Praxis müssen geschlechtsspezifische Aspekte zur Verbesserung der Frauengesundheit zwingend berücksichtigen […]. Zudem muss es genügend Einrichtungen geben, die den Eingriff mit der gewünschten Methode vornehmen.“ Linke für die Anerkennung eines Abbruchs – wie jeder andere Eingriff durch medizinisches Personal – ohne Stigmatisierung: „Ärzt*innen, die Abbrüche durchführen, dürfen nicht mehr schikaniert werden. Auch Hebammen sollen Abbrüche durchführen können.“
Herzliche Einladung zur Veranstaltung „Widerstand gegen § 218 StGB – wie weiter?” am 8. März 2025 um 14 Uhr in Stuttgart!