Anhörung im Rechtsausschuss zu Schwangerschaftsabbrüchen

Wäre eine Abschaffung von § 218 StGB im neuen Bundestag (un)möglich?

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Die öffentliche Anhörung zu Neuregelung von Schwangerschaftsabbrüchen fand im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus statt.

Beitragsbild: Mahehkumar Painam/unsplash

Von Carmen Wegge (SPD) und Ulle Schauws (Grüne) war im November 2024 ein Gruppenantrag für eine Entkriminalisierung in den ersten 12 Schwangerschaftswochen präsentiert worden. Dieser Gesetzentwurf stand am 10. Februar noch auf der Tagesordnung des Rechtsausschusses. Die Debatte dort könnte hilfreich sein für weitere Initiativen im neuen Bundestag – zu einer Abstimmung in den bisherigen kam es nicht mehr.

Der Huma­nis­ti­sche Ver­band drück­te dar­über in einer Pres­se­er­klä­rung unter der Über­schrift „Nicht ein­mal ein Mini­mal­kon­sens schafft die Hür­de vom Rechts­aus­schuss ins Ple­num“ sei­ne Ent­täu­schung aus. Dabei hat­ten über 320 Abge­ord­ne­te den Grup­pen­an­trag mit­ge­zeich­net, der das The­ma Schwan­ger­schafts­ab­brü­che aus dem Kern­straf­recht des StGB her­aus­lö­sen und ins Schwan­ger­schafts­kon­flikt­ge­setz ein­fü­gen woll­te. Der Gesetz­ent­wurf galt ins­be­son­de­re mit der Über­nah­me einer Frist von nur 12 Wochen für recht­mä­ßi­ge Abbrü­che (statt min­des­tens von 18 Wochen wie etwa in Skan­di­na­vi­en oder 22–24 Wochen wie in den Nie­der­lan­den) wohl als im Bun­des­tag mehr­heits­fä­hig.

Der Huma­nis­ti­sche Ver­band Deutsch­lands erhielt auf sei­nen Wahl­prüf­stein zum The­ma Schwan­ger­schafts­ab­bruch Ant­wor­ten von den ange­frag­ten Par­tei­en (sie­he unten als Kas­ten). Um ihre jewei­li­ge (partei-)politische Posi­ti­on wis­sen­schaft­lich zu unter­mau­ern, waren wie immer von den (im Bun­des­tag ver­tre­te­nen) Frak­tio­nen pro­porz­ge­mäß die Sach­ver­stän­di­gen für den Rechts­aus­schuss benannt wor­den. Die meis­ten von ihnen sind renom­mier­te Universitätsprofessor:innen.

Die Sach­ver­stän­di­gen, soweit einer­seits von der Uni­on und ande­rer­seits von Grü­nen und SPD aus­ge­wählt, wider­spra­chen ein­an­der. Dies galt sowohl für Pra­xis­pro­ble­me, grund­le­gen­de Wer­te, juris­ti­sche Aus­füh­run­gen als auch ganz beson­ders für die Fra­ge, ob das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt von sei­nem bis­he­ri­gen kla­ren Men­schen­wür­de­ge­bot bereits für den frü­hen Embryo heut­zu­ta­ge Abstand neh­men wür­de. Es dürf­te hilf­reich sein, um sich für die Abschaf­fung von § 218 StGB neu auf­zu­stel­len und sich gegen eine Uni­on mit Kanz­ler­mehr­heit zu wapp­nen, auch die ableh­nen­den Argu­men­te der Expert:innen aus den Berei­chen Gynä­ko­lo­gie und Ver­fas­sungs­recht zur Kennt­nis zu neh­men.

Worin bestand der im Rechtsausschuss debattierte Gesetzentwurf?

Der mode­ra­te Reform­vor­schlag von Weg­ge, Schauws u.a. war durch eine frak­ti­ons­über­grei­fen­de Abge­ord­ne­ten­grup­pe maß­geb­lich von SPD und Grü­nen ein­ge­bracht sowie von den Lin­ken unter­stützt wor­den. Der Geset­zes­an­trag ist durch die Wahl pas­sé und gilt somit nicht mehr als im Bun­des­tag vor­lie­gend. Im Kern sah er vor, unter Bei­be­hal­tung der Bera­tungs­pflicht Schwan­ger­schafts­ab­brü­che für die Früh­pha­se nicht nur (wie gegen­wär­tig) für straf­be­freit, son­dern aus­drück­lich für recht­mä­ßig zu erklä­ren. Auf die Auf­la­ge einer drei­tä­gi­gen Bedenk­zeit wur­de dabei ver­zich­tet.

Doch was soll­te dann für die anschlie­ßen­den Pha­sen, etwa ab 13. Woche (nach Emp­fäng­nis) gel­ten? Für die­se wur­de im vor­ge­schla­ge­nen neu­en Schwan­ger­schafts­kon­flikt­ge­setz (SchwKG) mit­tels dort ein­ge­führ­tem § 14 für Ärzt:innen die im § 218 StGB bestehen­de Stra­fe bei­be­hal­ten. Auch die in § 218 a StGB auf­ge­führ­te „medi­zi­ni­schen Indi­ka­ti­on“ (als Aus­nah­me­be­din­gung von der Rechts­wid­rig­keit) wur­de wort­ge­treu über­nom­men. Die in Deutsch­land rund 4.000 Spät­ab­brü­che ab der mitt­le­ren und spä­ten Schwan­ger­schaft soll­ten wei­ter­hin nur – wie bis­her im § 218 a StGB – bei einer „medi­zi­ni­sche Indi­ka­ti­on“ für Ärzt:innen legal sein. Ansons­ten soll­te ihnen dann (und auch wenn es kei­ne Bera­tungs­be­schei­ni­gung inner­halb der 12 Wochen gibt!) eine Stra­fe bis zu drei Jah­ren Gefäng­nis dro­hen – genau wie im § 218 StGB vor­ge­se­hen. Dies alles wur­de im Gesetz­ent­wurf bei­be­hal­ten – über­führt nun­mehr als „Neben­straf­recht“ in Ergän­zung des SchwKG.

Zu dem vor­ge­leg­ten Gesetz­ent­wurf fand nur noch die Anhö­rung im Rechts­aus­schuss statt – aber kei­ne Abstim­mung mehr im Bun­des­tag. Er war zwar hin­ter den For­de­run­gen von zivil­ge­sell­schaft­li­chen Orga­ni­sa­tio­nen (wie auch des Huma­nis­ti­schen Ver­ban­des Deutsch­lands) und frau­en­recht­li­chen Akti­vis­tin­nen teils weit zurück­ge­blie­ben – die ihn gleich­wohl aus stra­te­gi­schen Grün­den bis zuletzt mas­siv unter­stütz­ten. Denn es hat­te sich die Chan­ce erge­ben, den lang bekämpf­ten Para­gra­fen § 218 im StGB end­lich los­zu­wer­den. (Laut Gesetz­ent­wurf soll­te die­ser aller­dings bestehen blei­ben – nun­mehr umge­kehrt als Tat­be­stand eines Schwan­ger­schafts­ab­bruchs ohne oder gegen den Wil­len der Schwan­ge­ren.)

Ist wirklich schon alles ausdiskutiert?

Der Ent­wurf hat den „Weg-mit“-Forderungen Rech­nung getra­gen, dass der bestehen­de § 218 StGB abge­schafft gehört und dass dazu (seit mehr als 100 Jah­ren!) doch bereits grund­sätz­lich alles gesagt wor­den sei. Aber stimmt das auch – etwa für die Spät­ab­brü­che bei vor­her bestehen­dem Kin­der­wunsch auf­grund einer prä­na­tal dia­gnos­ti­zier­ter Schä­di­gung? Hoch­ent­wi­ckel­te oder gar eigen­stän­dig lebens­fä­hi­ge Unge­bo­re­ne kön­nen nur noch durch Feto­zid (Tötung im Ute­rus) mit anschlie­ßen­der Tot­ge­burt fach­ärzt­lich abge­trie­ben wer­den.

Laut Mah­nung im Abschluss­be­richt der von der Ampel­re­gie­rung ein­ge­setz­ten Kom­mis­si­on zur Neu­re­ge­lung des Schwan­ger­schafts­ab­bruchs (sie­he S. 28) feh­len für die­se Fäl­le „gesetz­li­che Kri­te­ri­en zur Beur­tei­lung der Fra­ge, unter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen … ein Schwan­ger­schafts­ab­bruch durch Feto­zid … zuläs­sig ist oder sich Belas­tun­gen durch die Ver­ant­wor­tung für das Kind nach der Geburt zumut­bar dadurch abwen­den las­sen, dass die Frau das Kind zur Welt bringt und ggf. zur Adop­ti­on frei­gibt.“ Gegen­wär­tig wür­den fetopa­thi­sche Befun­de „intrans­pa­rent“ bewer­tet als Unter­fall der „medi­zi­ni­schen Indi­ka­ti­on“, heißt es dort wei­ter. Bei die­ser geht es laut § 218 a StGB jedoch aus­schließ­lich bei der Frau um eine so gra­vie­ren­de Gesund­heits­ge­fähr­dung, dass ein Abbruch prin­zi­pi­ell nicht als unrecht­mä­ßig und auch bis zur Geburt nicht als straf­bar gel­ten kann. Der Huma­nis­ti­sche Ver­band hat­te in einer Ver­an­stal­tung spe­zi­ell zu Spät­ab­brü­chen am 29. Janu­ar ver­sucht, die­ses heik­le, belas­ten­de und tabui­sier­te The­ma in einer Ver­an­stal­tung unter ver­schie­de­nen Aspek­ten zur Spra­che zu brin­gen.

Eini­ge Sach­ver­stän­di­ge erwähn­ten im Rechts­aus­schuss aus­drück­lich, sich nur auf die vor­ge­se­he­nen Neue­run­gen in der Früh­pha­se bis zur 12. Woche zu bezie­hen, da der vor­lie­gen­de Gesetz­ent­wurf dar­über hin­aus ja alles beim Alten belie­ße.

Die fol­gen­den Zita­te, sofern nicht geson­dert aus­ge­wie­sen, sind dem ste­no­gra­fi­schen Pro­to­koll der Sit­zung des Rechts­aus­schus­ses vom 10.2.2025 ent­nom­men.

Die „Pro-Choice“ Stellungnahmen im Rechtsausschuss

In der Anhö­rung wur­den die wohl wich­tigs­ten Argu­men­te für die außer­straf­recht­li­che Reform in der Stel­lung­nah­me vom Team der ELSA-Stu­die vor­ge­bracht. Die For­schungs­er­geb­nis­se trug deren wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­te­rin Rona Torenz vor. Danach gibt es 85 unter den 400 Land­krei­sen, in denen nicht inner­halb von 40 Auto­mi­nu­ten eine Ein­rich­tung zu errei­chen ist, die Abbrü­che vor­nimmt. In Bay­ern wohn­ten 2,5 Mil­lio­nen Men­schen außer­halb die­ser Erreich­bar­keit. Grund­sätz­lich sei die Situa­ti­on im Süd­wes­ten bedeu­tend schlech­ter als im Nord­os­ten. „Aus der ELSA-Befra­gung wis­sen wir“, fuhr Torenz fort, „dass eine gro­ße Mehr­heit der Per­so­nen mit Schwan­ger­schafts­ab­bruch Stig­ma­ti­sie­rung erfährt … mit einem gerin­ge­ren psy­chi­schen Wohl­be­fin­den nach dem Schwan­ger­schafts­ab­bruch“ – beglei­tet von Scham- und Schuld­ge­füh­len. „Neben den unge­wollt Schwan­ge­ren ist auch ein Groß­teil der Ärz­tin­nen und Ärz­te, die Schwan­ger­schafts­ab­brü­che durch­füh­ren, von Stig­ma­ti­sie­rung betrof­fen.“ Durch die Ver­or­tung im Straf­recht wären für sie unnö­tig Hür­den durch behörd­li­che Auf­la­gen zu über­win­den. Die „Rechts­wid­rig­keit des indi­ka­ti­ons­lo­sen Schwan­ger­schafts­ab­bruchs“ wir­ke sich jeden­falls nega­tiv aus, unge­ach­tet des­sen, dass es jahr­zehn­te­lang so gut wie „kei­ne Ver­ur­tei­lun­gen nach § 218 StGB gibt“. Eine Recht­mä­ßig­keit ände­re zudem die fol­gen­de Situa­ti­on: „Der­zeit wer­den die Kos­ten des Ein­griffs nicht regu­lär von den Kran­ken­kas­sen bezahlt. Statt­des­sen kön­nen und müs­sen unge­wollt Schwan­ge­re mit nied­ri­gem Ein­kom­men einen geson­der­ten Antrag auf Kos­ten­über­nah­me durch die Län­der stel­len.“

Ali­cia Bai­er, Ärz­tin und im Bereich Wei­ter­bil­dung Gynä­ko­lo­gie tätig, Mit­glied im Vor­stand des Ver­eins Doc­tors for Choice Ger­ma­ny mit knapp 300 Mit­glie­dern und beken­nen­de Femi­nis­tin, beton­te die Evi­denz­ba­sie­rung des Gesetz­ent­wurfs. Es sei viel­fach wis­sen­schaft­lich belegt wor­den, dass durch die Lega­li­sie­rung Abbrü­che nicht häu­fi­ger, son­dern – wie ja wün­schens­wert – frü­her statt­fin­den wür­den. „Zudem ver­bes­sert der Gesetz­ent­wurf die Arbeits­be­din­gung der durch­füh­ren­den Ärz­tin­nen und Ärz­te und legt die Basis, dass Schwan­ger­schafts­ab­brü­che in die medi­zi­ni­sche Aus- und Wei­ter­bil­dung inte­griert wer­den kön­nen“, sag­te sie.

Bea­te von Miquel, Vor­sit­zen­de des Deut­schen Frau­en­rats, empör­te sich im Nach­gang zur Rechts­aus­schuss­an­hö­rung über die ver­hin­der­te Abstim­mung des Grup­pen­an­trags zur Neu­re­ge­lung von Schwan­ger­schafts­ab­brü­chen. Von der Poli­tik sei „in Zei­ten zuneh­men­den Rechts­rucks“ zu for­dern, die „demo­kra­ti­sche Kul­tur im Par­la­ment“ eben­so wie „die Gesund­heit unge­wollt Schwan­ge­rer“ best­mög­lich zu schüt­zen. Im Rechts­aus­schuss hat­te sie argu­men­tiert: „Der für die UN-Frau­en­rechts­kon­ven­ti­on zustän­di­ge CEDAW-Aus­schuss betont immer wie­der, dass die Kri­mi­na­li­sie­rung und die Ver­zö­ge­rung siche­rer Abbrü­che als eine Ver­let­zung von Frau­en­rech­ten gewer­tet wer­den kann.“ Alles sei nun „wirk­lich aus­rei­chend dis­ku­tiert wor­den“ und ein Gesetz end­gül­tig abstim­mungs­reif. Schließ­lich wür­den 80 Pro­zent der Gesell­schaft die Ent­kri­mi­na­li­sie­rung befür­wor­ten. (Anmer­kung G.N.: In der öffent­li­chen Debat­te wird unter­schla­gen, dass es je nach Kon­text und alter­na­ti­ven Ant­wort­mög­lich­kei­ten durch­aus ande­re Befra­gungs­er­geb­nis­se gibt. So haben sich 2023 laut Polit­ba­ro­me­ter des ZDF 54 Pro­zent der Befrag­ten dafür aus­ge­spro­chen, dass die der­zei­ti­ge Rege­lung des Schwan­ger­schafts­ab­bruchs wei­ter gel­ten sol­le.)

Stellungnahme des Sachverständigen der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe

Mit der Ladung von Prof. Mat­thi­as David, Gynä­ko­lo­ge (der selbst Schwan­ger­schafts­ab­brü­che vor­nimmt) und geschäfts­füh­ren­der Ober­arzt an der Cha­ri­té, scheint der CDU ein Coup gelun­gen zu sein. Er ist Koor­di­na­tor für die aktu­el­le Leit­li­nie zum Schwan­ger­schafts­ab­bruch der Deut­schen Gesell­schaft für Gynä­ko­lo­gie und Geburts­hil­fe (DGGG), einer renom­mier­ten Fach­ge­sell­schaft mit rund 10.000 Mit­glie­dern, und hat unlängst die Aus­ga­be „Schwan­ger­schafts­ab­brü­che in Deutsch­land“ im Bun­des­ge­sund­heits­blatt edi­tiert.

David betont die Beson­der­heit die­ses medi­zi­ni­schen Ein­griffs: „Beim Schwan­ger­schafts­ab­bruch – nach Bera­tung und Bedenk­zeit – han­delt es sich um eine in der moder­nen Medi­zin ein­zig­ar­ti­ge Ope­ra­ti­on, auch wenn sie vom tech­ni­schen Ablauf her mit dem ope­ra­ti­ven Vor­ge­hen bei der Fehl­ge­burt iden­tisch ist.“ Anhand von Stu­di­en mit fach­ärzt­li­cher Exper­ti­se und sei­ner 30-jäh­ri­gen Pra­xis­er­fah­rung rela­ti­viert er die ELSA-For­schungs­er­geb­nis­se und zieht sie in Zwei­fel: Eine flä­chen­de­cken­de und gute Ver­sor­gung sei in Deutsch­land durch­aus gege­ben und das Erreich­bar­keits­kri­te­ri­um von 40 Auto­mi­nu­ten wohl hin­ter­frag­bar. Auch Hin­wei­se auf eine Ver­schlech­te­rung der Ver­sor­gung gebe die Daten­la­ge von ELSA nicht über­zeu­gend her. Wie Unter­su­chun­gen von ihm selbst erbracht hät­ten, „nimmt die Häu­fig­keit medi­ka­men­tös durch­ge­führ­ter Schwan­ger­schafts­ab­brü­che zu, so dass die Not­wen­dig­keit von sta­tio­när durch­ge­führ­ten oder gar ope­ra­ti­ven abnimmt.“ (Anmer­kung G.N.: die Dt. Gesell­schaft für Gynä­ko­lo­gie und Geburts­hil­fe hat­te mit dem Berufs­ver­band der Frau­en­ärz­te in einer gemein­sa­men Stel­lung­nah­me vom April 2024 durch­aus eine teils schwie­ri­ge Ver­sor­gungs­rea­li­tät kon­sta­tiert – die­se sei aber „nicht auto­ma­tisch, und vor allem nicht zeit­nah, durch eine juris­ti­sche Neu­re­ge­lung des § 218 zu ver­bes­sern.“)

Davids schrift­li­che Stel­lung­nah­me für den Rechts­aus­schuss liest sich wie eine wis­sen­schaft­li­che Abhand­lung – jeden­falls mit mehr als zwei Dut­zend Lite­ra­tur­an­ga­ben. Er sieht auch kei­nen Grund, Abbrü­che stär­ker in Stu­di­um und Wei­ter­bil­dung the­ma­ti­sie­ren zu müs­sen, um auf lan­ge Sicht mehr Gynä­ko­lo­gin­nen und Gynä­ko­lo­gen für die Durch­füh­rung einer Abrup­tio zu gewin­nen. Schwan­ger­schafts­ab­brü­che sei­en seit vie­len Jah­ren fest ver­an­kert in der Aus- und Wei­ter­bil­dung. Es trä­fe nicht zu, „dass hier ein Erler­nen des ope­ra­ti­ven Schwan­ger­schafts­ab­bruchs in irgend­ei­ner Wei­se nicht erfol­gen kann.“ Die­ser sei ja zum gynä­ko­lo­gi­schen Aus­bil­dungs­mo­dul bei Fehl­ge­bur­ten mit­tels Saug­kü­ret­ta­ge ana­log.

Zur medi­zi­ni­schen Son­der­stel­lung führt David aus: Mit dem „auf Wunsch von unge­wollt Schwan­ge­ren durch­ge­führ­ten Schwan­ger­schafts­ab­bruch wer­den in den aller­meis­ten Fäl­len gesun­de Frau­en, respek­ti­ve kei­ne Krank­hei­ten behan­delt und wer­den gesun­de Embry­os besei­tigt.“ Er sei des­halb nicht stolz dar­auf, respek­tie­re aber medi­zin­ethisch voll die Selbst­be­stim­mung der Frau­en und habe sich dabei „nie gefragt, ob ich gera­de eine straf­ba­re Hand­lung durch­füh­re oder eine rechts­wid­ri­ge, aber straf­freie.“ In der Fra­ge­run­de meint er zu wis­sen: Die Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen, die Schwan­ger­schafts­ab­brü­che durch­füh­ren, füh­len sich mit­nich­ten dis­kri­mi­niert – das sei eine theo­re­ti­sche Erwä­gung aus juris­ti­scher Sicht. Dar­an anschlie­ßend räumt Rona Torenz als Ver­tre­te­rin der ELSA-Stu­die ein: Tat­säch­lich hät­ten von den dort befrag­ten Ärzt:innen nur 3 Pro­zent ange­ge­ben, dass ein straf­recht­li­ches Risi­ko der Grund sei, kei­ne Schwan­ger­schafts­ab­brü­che durch­füh­ren zu wol­len. Sie insis­tiert auf den von Ärz­ten statt­des­sen ange­führ­ten Bar­rie­ren, weil der Schwan­ger­schafts­ab­bruch „ganz grund­sätz­lich nicht wie ande­re medi­zi­ni­sche Dienst­leis­tun­gen behan­deltwür­de.

Stellungnahmen der beiden von SPD und Grünen benannten Juristinnen

Zustim­mend äußer­te sich die Exper­tin für Öffent­li­ches Recht, Prof. Frau­ke Bro­si­us-Gers­dorf von der Uni­ver­si­tät Pots­dam zum Reform­ent­wurf, in dem eine eige­ne ver­fas­sungs­recht­li­che Neu­be­wer­tung vor­ge­nom­men wer­den dür­fe. In ihrer schrift­li­chen Stel­lung­nah­me heißt es: „Die gel­ten­den Straf­vor­schrif­ten zum Schwan­ger­schafts­ab­bruch (§§ 218 ff. StGB) sind maß­geb­lich geprägt durch zwei Urtei­le des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts vom 25. Febru­ar 1975 und vom 28. Mai 1993.“ Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt habe dar­in ent­schie­den, „dass ein Schwan­ger­schafts­ab­bruch grund­sätz­lich für die gesam­te Dau­er der Schwan­ger­schaft rechts­wid­rig – wenn­gleich nicht zwin­gend straf­bar – ist und Aus­nah­men nur bei Unzu­mut­bar­keit der Fort­set­zung der Schwan­ger­schaft wie der medi­zi­ni­schen, der kri­mi­no­lo­gi­schen und der embryo- bzw. fetopa­thi­schen Indi­ka­ti­on gel­ten.“

In der Anhö­rung ver­trat Bro­si­us-Gers­dorf münd­lich die Auf­fas­sung: „In der Gegen­über­stel­lung und Gewich­tung mit den Grund­rech­ten der Schwan­ge­ren tritt das Lebens­recht des Embry­os in der Früh­pha­se der Schwan­ger­schaft aber zurück.“ (Anmer­kung G.N.: Auch der Huma­nis­ti­sche Ver­band Deutsch­lands posi­tio­niert sich maß­geb­lich für einen zuneh­men­den Schutz­an­spruch je nach Ent­wick­lungs­stand des Fetus. Bezeich­nen­der­wei­se war ein sol­ches „Stu­fen­mo­dell“ der Haupt­an­griffs­punkt eines von der AfD benann­ten „Lebens­schutz­ver­tre­ters“ bei der Anhö­rung.)

Als zwei­te (von den Grü­nen gela­de­ne) juris­ti­sche Exper­tin begrüß­te die Juris­tin Prof. Lia­ne Wör­ner von der Uni­ver­si­tät Kon­stanz den Gesetz­ent­wurf. Sie sprach einen radi­ka­len Per­spek­ti­ven­wech­sel an, der im zur Debat­te ste­hen­den Gesetz­ent­wurf dar­an deut­lich wür­de: Umge­kehrt zur bis­he­ri­gen Kri­mi­na­li­sie­rung bedür­fe es nun­mehr des Straf­recht­pa­ra­gra­fen 218 zum Schutz der Schwan­ge­ren und dabei auch „vor der Nöti­gung glei­cher­ma­ßen zum Abbruch wie zu des­sen Unter­las­sung.“ Als Straf­maß (also auch bei einer Nöti­gung, den Abbruch nicht durch­füh­ren zu las­sen) hat der Gesetz­ent­wurf ein Straf­maß von sogar 10 Jah­ren Gefäng­nis vor­ge­se­hen. (Anmer­kung G.N.: Dies hat der Medi­zin- und Bio­recht­ler Prof. Gun­nar Dutt­ke in einem Gut­ach­ten als wider­sin­nig und hand­werk­lich ver­fehlt dar­ge­stellt, da es bereits im § 240 StGB einen spe­zi­el­len Nöti­gungs­tat­be­stand zum Schwan­ger­schafts­ab­bruch mit Stra­fe zwi­schen min­des­tens 6 Mona­ten bis 5 Jah­ren gäbe.)

Stellungnahmen der von der Union und FDP benannten Jurist:innen

Eine Ver­fas­sungs­mä­ßig­keit kri­ti­sier­te die vier von der CDU/CSU sowie der FDP vor­ge­schla­ge­nen juris­ti­schen Lehrstuhlinhaber:innen (Kubiciel und Thü­sing sowie Gae­de und Ros­tal­ski) teils mas­siv: Die Leit­ent­schei­dun­gen des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts sei­en nicht durch Stan­dards inter­na­tio­na­ler Ent­wick­lun­gen über­holt oder über die Jah­re ver­al­tet. Jeden­falls dür­fe über sie nicht ein­fach „non­cha­lant“ hin­weg­ge­gan­gen wer­den. Die der­zei­ti­ge Rechts­la­ge wür­de hin­rei­chend für Schwan­ger­schafts­ab­brü­che Straf­frei­heit zusi­chern, was die jähr­lich rund 100.000 lega­len Fäl­le beleg­ten.

Kri­ti­sche bewer­tet wur­de die gän­gi­ge frau­en­recht­li­che Aus­sa­ge, die sich auch im Begrün­dungs­text des Gesetz­ent­wurfs wie folgt fin­det: „Die aktu­el­le Rechts­la­ge in Deutsch­land wider­spricht Vor­ga­ben und Stan­dards des inter­na­tio­na­len Rechts“ (wie etwa dem oft genann­ten CEDAW-Aus­schuss der UN-Frau­en­rechts­kon­ven­ti­on). Kri­ti­siert wur­de die man­geln­de Prä­zi­sie­rung, was damit eigent­lich gemeint sei (Voll­stän­di­ge „Ent­kri­mi­na­li­sie­rung“ durch Abschaf­fung einer ent­mün­di­gen­den Bera­tungs­pflicht und ver­zö­gern­den drei­tä­gi­gen Bedenk­frist?). Deutsch­land wäre zwar dazu ange­hal­ten, euro­pa- und völ­ker­recht­li­che Vor­ga­ben des Men­schen­rechts­schut­zes bei der Aus­le­gung der Grund­rech­te zu berück­sich­ti­gen. Eine deut­li­che Gren­ze zur Umset­zung der Emp­feh­lun­gen sei aller­dings stets das natio­na­le Ver­fas­sungs­recht, mit dem die Vor­ga­be in Ein­klang zu ste­hen habe.

Beson­ders scharf kri­ti­sier­te Prof. Gre­gor Thü­sing, Mit­glied des Deut­schen Ethik­rats, von der Uni­ver­si­tät Bonn den Gesetz­ent­wurf. Mit ihm wer­de eine „Brand­mau­er“ ein­ge­ris­sen. Aus sei­ner Sicht sei der Ent­wurf „mit­nich­ten mini­mal­in­va­siv oder aus­ge­wo­gen“, son­dern sen­ke „radi­kal“ den Schutz „des sich als Mensch ent­wi­ckeln­den Lebens“, so Thü­sing.

Dem­ge­gen­über befand Prof. Kars­ten Gae­de von der Buce­ri­us Law School in Ham­burg: Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt unter­stel­le, dass der Kör­per der Schwan­ge­ren prin­zi­pi­ell „fremd­nüt­zig zur Erfül­lung von Schutz­zie­len ver­füg­bar und eine Aus­tra­gungs­pflicht damit grund­sätz­lich zumut­bar sei“. Jedoch sei eine Pflicht zur Aus­tra­gung der „dau­er­haft iden­ti­täts­prä­gen­den und den Kör­per fun­da­men­tal umwan­deln­den Schwan­ger­schaft“ zumin­dest in der Früh­pha­se nicht begrün­det, resü­mier­te Gae­de.

Der Gesetz­ent­wurf sei rechts­po­li­tisch ver­fehlt, urteil­te Prof. Micha­el Kubiciel von der Uni­ver­si­tät Augs­burg. Er ver­än­de­re die Rechts­la­ge für Ärz­te gar nicht. Denn die­se könn­ten ja schon „bera­te­ne und indi­zier­te Abbrü­che“ im Sin­ne der bestehen­den Rechts­ord­nung legal vor­neh­men und wür­den andern­falls auch gemäß Gesetz­ent­wurf genau­so bestraft wie bis­her. Die Abschaf­fung der obli­ga­to­ri­schen Bedenk­zeit von drei Tagen wider­spre­che dem eigent­li­chen Selbst­be­stim­mungs­zweck, ggf. neue Aspek­te nach erfolg­ter Bera­tung zu reflek­tie­ren und sei zudem auch nicht erfor­der­lich.

Für (die von der FDP benann­te) Prof. Frau­ke Ros­tal­ski, Mit­glied im Deut­schen Ethik­rat, von der Uni­ver­si­tät zu Köln gibt es kei­ne Ver­an­las­sung dafür, an der gel­ten­den Rechts­la­ge zu rüt­teln. Weder empi­risch noch nor­ma­tiv habe sich in Sachen Schwan­ger­schafts­ab­bruch etwas geän­dert, „das nicht bereits aus­führ­lich durch das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt in des­sen Ent­schei­dun­gen ein­be­zo­gen wur­de“, sag­te sie. Für die Straf­rechts­pro­fes­so­rin und Rechts­phi­lo­so­phin wäre es „an der Zeit – anstatt immer wie­der die alte Fra­ge der Kri­mi­na­li­sie­rung von Schwan­ger­schafts­ab­brü­chen zu dis­ku­tie­ren“ – die Selbst­be­stim­mung Schwan­ge­rer „durch tat­säch­lich dazu geeig­ne­te Maß­nah­men“ zu för­dern. Hier­zu bedür­fe es „eines gesell­schaft­li­chen Umden­kens und der ernst­li­chen Bereit­schaft, sozia­le Miss­stän­de zu behe­ben, die der­zeit ins­be­son­de­re Allein­er­zie­hen­de und die Kin­der ein­kom­mens­schwa­cher Eltern betref­fen.“

Fazit aus Sicht der Autorin

Rechts­wid­rig­keit, Stig­ma­ti­sie­rung und Kri­mi­na­li­sie­rung des Schwan­ger­schafts­ab­bruchs durch § 218 StGB sind als nega­ti­ve und beschrän­ken­de Bedin­gun­gen zu ver­ste­hen, die sich auf die schlech­te Ver­sor­gungs­la­ge aus­wir­ken. Die­se ist aber nicht direkt aus der im Straf­recht ver­an­ker­ten Rechts­wid­rig­keit abzu­lei­ten. So kann mit des­sen Auf­he­bung – zumal nur in den ers­ten 12 Wochen nach Emp­fäng­nis – umge­kehrt auch nicht mit schnel­len Ver­bes­se­run­gen für unge­wollt Schwan­ge­re und abtrei­bungs­wil­li­ge Ärzt:innen gerech­net wer­den.

Wie immer bei „Ethik­fra­gen“ wird es erneut um Grup­pen­an­trä­ge von Abge­ord­ne­ten ver­schie­de­ner Par­tei­en ohne soge­nann­ten „Frak­ti­ons­zwang“ im Bun­des­tag gehen. Dort bedarf es lang­wie­ri­ger per­sön­li­cher Gesprä­che über bestehen­de Abgren­zun­gen hin­weg mit allen prin­zi­pi­ell ver­än­de­rungs­be­rei­ten Kolleg:innen. Zwar hält die Uni­on am Sta­tus quo des § 218 StGB fest (die AfD will die­sen noch ver­schär­fen) und gilt als der ent­schei­den­de Brem­ser. Aber es kommt nicht unbe­dingt dar­auf und die neue Koali­ti­on an – son­dern auf die Zusam­men­set­zung des Bun­des­ta­ges (jetzt auch mit der erstark­ten Lin­ken) und auf das Über­zeugt-Sein und Über­zeugt-Wer­den der ein­zel­nen Abge­ord­ne­ten.

Par­tei­ant­wor­ten zum Wahl­prüf­stein „Schwan­ger­schafts­ab­bruch“ des Huma­nis­ti­schen Ver­ban­des Deutsch­lands

Die an den Huma­nis­ti­schen Ver­band Deutsch­land gerich­te­ten Kern­aus­sa­gen zu sei­nem ent­spre­chen­den Wahl­prüf­stein lau­te­ten zunächst von der FDP und der Uni­on:


Von der FDP für eine Wei­ter­be­hand­lung des The­mas (statt kurz­fris­ti­ger Abstim­mung noch zu Ende der letz­ten Legis­la­tur): „Eine Reform der Rege­lun­gen zum Schwan­ger­schafts­ab­bruch (§§ 218, 218a StGB) soll im Wege von soge­nann­ten frak­ti­ons­über­grei­fen­den Grup­pen­an­trä­gen … im nächs­ten Bun­des­tag bera­ten wer­den“. Von der CDU/CSU für den Sta­tus quo des § 218, der vor zu schnel­len Ent­schei­dun­gen bewah­ren soll: „Wir set­zen uns für die Bei­be­hal­tung des gel­ten­den, lan­ge erstrit­te­nen par­tei­über­grei­fen­den gesell­schaft­li­chen Kom­pro­mis­ses in Form der ver­pflich­ten­den, aber neu­tra­len und ergeb­nis­of­fe­nen Bera­tungs­lö­sung ein.“


Dem­ge­gen­über spre­chen sich die Par­tei­en der Abge­ord­ne­ten, die den Grup­pen­an­trag zur Reform des Schwan­ger­schafts­ab­bruchs unter­stützt hat­ten, alle für eine Ent­kri­mi­na­li­sie­rung und für ver­bes­ser­te Ver­sor­gung, Aus­bil­dung oder Kos­ten­über­nah­me durch die Kran­ken­kas­sen aus. Im Fol­gen­den soll es des­halb nur um die spe­zi­fi­schen Unter­schie­de bei den Kern­aus­sa­gen gehen:

SPD für eine grund­ge­setz­li­che Abwä­gung: „Frau­en haben ein Recht auf repro­duk­ti­ve Selbst­be­stim­mung … Wir spre­chen uns für eine alter­na­ti­ve Regu­lie­rung von Schwan­ger­schafts­ab­brü­chen … mit einem bes­se­ren Schutz­kon­zept für das unge­bo­re­ne Leben aus. … Ein Abbruch der Schwan­ger­schaft nach Ende der 12. Woche soll rechts­wid­rig blei­ben.“ Grü­ne für eine gen­der­ge­rech­te Selbst­be­stim­mung: „For­schung, Aus­bil­dung und medi­zi­ni­sche Pra­xis müs­sen geschlechts­spe­zi­fi­sche Aspek­te zur Ver­bes­se­rung der Frau­en­ge­sund­heit zwin­gend berück­sich­ti­gen […]. Zudem muss es genü­gend Ein­rich­tun­gen geben, die den Ein­griff mit der gewünsch­ten Metho­de vor­neh­men.“ Lin­ke für die Aner­ken­nung eines Abbruchs – wie jeder ande­re Ein­griff durch medi­zi­ni­sches Per­so­nal – ohne Stig­ma­ti­sie­rung: „Ärzt*innen, die Abbrü­che durch­füh­ren, dür­fen nicht mehr schi­ka­niert wer­den. Auch Heb­am­men sol­len Abbrü­che durch­füh­ren kön­nen.“


Herz­li­che Ein­la­dung zur Ver­an­stal­tung „Wider­stand gegen § 218 StGB – wie wei­ter?” am 8. März 2025 um 14 Uhr in Stutt­gart!

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