Was bringt das neue Gesetz zur Stärkung der Organspende?

Organspende: Ethische Fragen zwischen Leben und Tod

Organspendeausweis

Beitragsbild: BZgA/Hardy Welsch

Der Mangel an Organspender*innen ist unverkennbar. Mitte April 2022 warteten in Deutschland circa 8.500 Menschen auf ein Spenderorgan. Ihnen stehen derzeit jährlich rund 1.000 erklärte Spender*innen gegenüber, denen im Schnitt bis zu drei transplantierfähige Organe entnommen werden können. Wie kann es da gelingen, die Spendenbereitschaft zu erhöhen?

„Vor dem Hin­ter­grund, dass jedes ein­zel­ne Organ zählt und Leben ret­ten kann, ste­hen wir vor einer dra­ma­ti­schen Ent­wick­lung für die rund 8.500 Pati­en­ten auf den War­te­lis­ten“, warnt Dr. Axel Rah­mel, medi­zi­ni­scher Vor­stand der Deut­schen Stif­tung Organ­trans­plan­ta­ti­on (DSO). Im ers­ten Quar­tal 2022 habe es 194 Trans­plan­ta­tio­nen weni­ger gege­ben als im Vor­jah­res­zeit­raum. Die Zahl der Spen­der sei um 29 Pro­zent, die Zahl der ent­nom­me­nen Orga­ne um 28 Pro­zent gesun­ken. Die Grün­de dafür wären auch auf eine coro­nabe­ding­te Mehr­be­las­tung in den Inten­siv­sta­tio­nen zurück­zu­füh­ren, den­noch sei die DSO von den Zah­len über­rascht wor­den.

Um der­ar­ti­gen Ent­wick­lun­gen ent­ge­gen­zu­wir­ken, ist Anfang März 2022 das neue „Gesetz zur Stär­kung der Ent­schei­dungs­be­reit­schaft bei der Organ­spen­de“ in Kraft getre­ten. Unter ande­rem ist vor­ge­se­hen, dass Haus­ärz­te ihre Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten nun bei Bedarf alle zwei Jah­re ergeb­nis­of­fen bera­ten. Außer­dem soll Grund­wis­sen zur Organ­spen­de ver­stärkt in Ers­te-Hil­fe-Kur­sen ver­mit­telt wer­den. Auch wer einen Per­so­nal­aus­weis ver­län­gert oder bean­tragt, erhält auf dem Ein­woh­ner­mel­de­amt nun auch Infor­ma­tio­nen zur Organ­spen­de. In die­sem Zusam­men­hang ist zudem ein neu­es Organ­spen­der­re­gis­ter (organspende-register.de) geplant, in das sich Bür­ge­rin­nen und Bür­ger direkt auf dem Mel­de­amt, aber auch von zu Hau­se aus ein­tra­gen kön­nen. Weil aber die Coro­na­kri­se die anzu­schlie­ßen­den Kran­ken­häu­ser noch immer vor eine Mehr­be­las­tung stellt, wird das Regis­ter wohl nicht vor Ende 2022 ein­ge­rich­tet sein. Des­halb kann auch noch kei­ne ver­läss­li­che Aus­sa­ge zu einem mög­li­chen Erfolg der neu­be­schlos­se­nen Maß­nah­men auf den Mel­de­äm­tern getrof­fen wer­den.

Der HVD Bun­des­ver­band hat­te sich bereits im Vor­feld der Geset­zes­än­de­rung Anfang 2020 in die Debat­te dar­über ein­ge­bracht. In einer Pres­se­er­klä­rung kri­ti­sier­te Vor­stands­spre­cher Erwin Kress eini­ge Aspek­te der inzwi­schen beschlos­se­nen Stra­te­gie: „Schon jetzt sen­den die Kran­ken­kas­sen alle zwei Jah­re ent­spre­chen­des Infor­ma­ti­ons­ma­te­ri­al an alle Ver­si­cher­ten, und an vie­len Stel­len lie­gen Organ­spen­de­aus­wei­se aus. Es ist daher sehr frag­lich, ob die Unter­la­gen auf den Ein­woh­ner­mel­de­äm­tern dann inten­si­ver gele­sen oder die geplan­ten Com­pu­ter­ter­mi­nals zur direk­ten Ein­ga­be der Ent­schei­dung dort genutzt wer­den.“

Der Organ­spen­de­aus­weis und Infor­ma­ti­ons­bro­schü­ren kön­nen bei der Bun­des­zen­tra­le für gesund­heit­li­che Auf­klä­rung (BzgA) kos­ten­frei bestellt wer­den:
per E‑Mail: bestellung@bzga.de
Info­te­le­fon Organ­spen­de: 0800 90 40 400

Wei­te­re Infor­ma­tio­nen: organspende-info.de

Um zu erkun­den, wie es prak­tisch um die Umset­zung der Reform bestellt ist, hat sich der Ver­fas­ser die­ses Tex­tes kur­zer­hand selbst auf das eige­ne Mel­de­amt im Husu­mer Rat­haus (Nord­see) bege­ben und nach­ge­se­hen. Fazit: Wäh­rend alle ande­ren Bro­schü­ren offen und öffent­lich im Foy­er des Rat­hau­ses aus­lie­gen, befin­den sich ein­zig die Organ­spen­de­infor­ma­tio­nen abge­schirmt in den Büros der dor­ti­gen Mel­de­stel­le. So wer­den Men­schen, die sich infor­mie­ren möch­ten, vor zusätz­li­che Hür­den gestellt – zumin­dest in Husum. Beglei­ten­de Aus­künf­te gibt es dort auch auf Nach­fra­ge nicht, dafür habe man kei­ne Zeit. Dadurch, dass die Regis­trie­rung als Organ­spen­der so exklu­siv auf den Mel­de­äm­tern erfolgt, wird sug­ge­riert, bei der Beschaf­fung eines Organ­spen­de­aus­wei­ses hand­le es sich um einen offi­zi­el­len Ver­wal­tungs­akt, der mit der Bean­tra­gung eines Per­so­nal­aus­wei­ses ver­gleich­bar wäre. Doch das ist nicht der Fall. Der Organ­spen­de­aus­weis ist eine Plas­tik- oder Papier­kar­te zum Selbst­aus­fül­len. Um sich wirk­sam zum Organ­spen­der zu erklä­ren, wür­de es dies­be­züg­lich auch genü­gen, die dazu not­wen­di­gen Infor­ma­tio­nen auf einen Zet­tel zu schrei­ben, den man sich ins Porte­mon­naie legt.

Bro­schü­ren rund um die Organ­spen­de gehö­ren dort­hin, wo sich Bür­ge­rin­nen und Bür­ger all­ge­mein über sozia­le und medi­zi­ni­sche Ange­bo­te infor­mie­ren. Das kön­nen die Aus­la­gen von huma­nis­ti­schen, aber vor allem auch von öffent­li­chen Ein­rich­tun­gen sein: Gesund­heits­äm­ter, Volks­hoch­schu­len, Rat­häu­ser und Stadt­bi­blio­the­ken. Mit­ar­bei­ten­de kön­nen das rea­li­sie­ren. Dazu bedarf es nur eines Anrufs beim Info­te­le­fon Organ­spen­de unter 0800 90 40 400.

Der HVD plädiert für eine bewusstere Auseinandersetzung in Fragen des humanen Lebens

Men­schen, die auf ein Spen­der­or­gan war­ten, ste­hen exis­ten­zi­el­len Unge­wiss­hei­ten gegen­über. Für sie geht es ums Über­le­ben. Auch ethi­sche Fra­gen kön­nen zur Belas­tung wer­den. Ein Arzt erklär­te auf Nach­fra­ge, es sei bei­spiels­wei­se für vie­le War­ten­de ein Dilem­ma, dass ein ande­rer Mensch erst ster­ben müs­se, damit man selbst wei­ter­le­ben kön­ne.

Auf Spen­der­sei­te sind die Zwei­fel von ande­rer Qua­li­tät. Sie zei­gen sich oft­mals erst auf den zwei­ten Blick. Laut einer Umfra­ge der Bun­des­zen­tra­le für gesund­heit­li­che Auf­klä­rung (BZgA) von Mai 2020 sind zunächst 73 Pro­zent der Deut­schen bereit, nach dem Tod ihre Orga­ne zu spen­den. Doch von der abs­trak­ten Befür­wor­tung bis zur kon­kre­ten Absichts­er­klä­rung geht die­ser Wil­le offen­bar ver­lo­ren. Das zeigt sich an der gerin­gen und an der jüngst auch noch rück­läu­fi­gen Anzahl von Men­schen, die tat­säch­lich erklär­te Organ­spen­der sind.

In unse­rer Gesell­schaft ist der Umgang mit dem Tod weit­ge­hend aus dem öffent­li­chen Leben aus­ge­klam­mert. Der Blick auf das eige­ne Ster­ben ist ohne­hin mit einem Tabu behaf­tet. Dabei lohnt es sich, genau­er hin­zu­se­hen, um viel­leicht nicht eine letz­te, aber doch das größt­mög­li­che Maß an Gewiss­heit zu gewin­nen, was das eige­ne Ver­hält­nis zur Organ­spen­de anbe­langt.

Der Huma­nis­ti­sche Ver­band Deutsch­lands plä­diert daher für zwei Din­ge. Einer­seits rät er dazu, ver­stärkt über die medi­zi­ni­schen Abläu­fe auf­zu­klä­ren, die für Organspender*innen streng gere­gelt sind. Die DSO gibt dar­über tele­fo­nisch, aber auch über deren Web­sei­te detail­liert Aus­kunft. Auf der ande­ren Sei­te spricht sich der HVD für eine Stär­kung ergeb­nis­of­fe­ner Bera­tungs­an­ge­bo­te im Rah­men von Pati­en­ten­ver­fü­gung und Gesund­heits­voll­macht aus.

Der­zeit gilt in Deutsch­land, dass ein Organ­spen­der aktiv sei­nen Wil­len zur Organ­spen­de erklä­ren muss. Dis­ku­tiert wur­de im Vor­feld der Geset­zes­än­de­rung aber auch die soge­nann­te Wider­spruchs­lö­sung. Das heißt, dass alle Men­schen hier­zu­lan­de erst ein­mal als mög­li­che Organ­spen­der gel­ten wür­den, bis sie aktiv wider­sprä­chen. Doch der HVD sah damals in bei­den Vor­ge­hens­wei­sen nicht die Lösung des eigent­li­chen Pro­blems. Eine Neu­be­wer­tung der Fra­ge steht noch aus. Unab­hän­gig davon hält es der HVD für ziel­füh­rend, die Zahl der erklär­ten Organ­spen­der dadurch zu erhö­hen, indem man Men­schen mit medi­zi­ni­scher Auf­klä­rung und mit ergeb­nis­of­fe­nen Gesprä­chen zu einer reflek­tier­ten und eigen­stän­di­gen Ent­schei­dung ver­hilft.

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