„Vor dem Hintergrund, dass jedes einzelne Organ zählt und Leben retten kann, stehen wir vor einer dramatischen Entwicklung für die rund 8.500 Patienten auf den Wartelisten“, warnt Dr. Axel Rahmel, medizinischer Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO). Im ersten Quartal 2022 habe es 194 Transplantationen weniger gegeben als im Vorjahreszeitraum. Die Zahl der Spender sei um 29 Prozent, die Zahl der entnommenen Organe um 28 Prozent gesunken. Die Gründe dafür wären auch auf eine coronabedingte Mehrbelastung in den Intensivstationen zurückzuführen, dennoch sei die DSO von den Zahlen überrascht worden.
Um derartigen Entwicklungen entgegenzuwirken, ist Anfang März 2022 das neue „Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende“ in Kraft getreten. Unter anderem ist vorgesehen, dass Hausärzte ihre Patientinnen und Patienten nun bei Bedarf alle zwei Jahre ergebnisoffen beraten. Außerdem soll Grundwissen zur Organspende verstärkt in Erste-Hilfe-Kursen vermittelt werden. Auch wer einen Personalausweis verlängert oder beantragt, erhält auf dem Einwohnermeldeamt nun auch Informationen zur Organspende. In diesem Zusammenhang ist zudem ein neues Organspenderregister (organspende-register.de) geplant, in das sich Bürgerinnen und Bürger direkt auf dem Meldeamt, aber auch von zu Hause aus eintragen können. Weil aber die Coronakrise die anzuschließenden Krankenhäuser noch immer vor eine Mehrbelastung stellt, wird das Register wohl nicht vor Ende 2022 eingerichtet sein. Deshalb kann auch noch keine verlässliche Aussage zu einem möglichen Erfolg der neubeschlossenen Maßnahmen auf den Meldeämtern getroffen werden.
Der HVD Bundesverband hatte sich bereits im Vorfeld der Gesetzesänderung Anfang 2020 in die Debatte darüber eingebracht. In einer Presseerklärung kritisierte Vorstandssprecher Erwin Kress einige Aspekte der inzwischen beschlossenen Strategie: „Schon jetzt senden die Krankenkassen alle zwei Jahre entsprechendes Informationsmaterial an alle Versicherten, und an vielen Stellen liegen Organspendeausweise aus. Es ist daher sehr fraglich, ob die Unterlagen auf den Einwohnermeldeämtern dann intensiver gelesen oder die geplanten Computerterminals zur direkten Eingabe der Entscheidung dort genutzt werden.“
Der Organspendeausweis und Informationsbroschüren können bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) kostenfrei bestellt werden:
per E‑Mail: bestellung@bzga.de
Infotelefon Organspende: 0800 90 40 400
Weitere Informationen: organspende-info.de
Um zu erkunden, wie es praktisch um die Umsetzung der Reform bestellt ist, hat sich der Verfasser dieses Textes kurzerhand selbst auf das eigene Meldeamt im Husumer Rathaus (Nordsee) begeben und nachgesehen. Fazit: Während alle anderen Broschüren offen und öffentlich im Foyer des Rathauses ausliegen, befinden sich einzig die Organspendeinformationen abgeschirmt in den Büros der dortigen Meldestelle. So werden Menschen, die sich informieren möchten, vor zusätzliche Hürden gestellt – zumindest in Husum. Begleitende Auskünfte gibt es dort auch auf Nachfrage nicht, dafür habe man keine Zeit. Dadurch, dass die Registrierung als Organspender so exklusiv auf den Meldeämtern erfolgt, wird suggeriert, bei der Beschaffung eines Organspendeausweises handle es sich um einen offiziellen Verwaltungsakt, der mit der Beantragung eines Personalausweises vergleichbar wäre. Doch das ist nicht der Fall. Der Organspendeausweis ist eine Plastik- oder Papierkarte zum Selbstausfüllen. Um sich wirksam zum Organspender zu erklären, würde es diesbezüglich auch genügen, die dazu notwendigen Informationen auf einen Zettel zu schreiben, den man sich ins Portemonnaie legt.
Broschüren rund um die Organspende gehören dorthin, wo sich Bürgerinnen und Bürger allgemein über soziale und medizinische Angebote informieren. Das können die Auslagen von humanistischen, aber vor allem auch von öffentlichen Einrichtungen sein: Gesundheitsämter, Volkshochschulen, Rathäuser und Stadtbibliotheken. Mitarbeitende können das realisieren. Dazu bedarf es nur eines Anrufs beim Infotelefon Organspende unter 0800 90 40 400.
Der HVD plädiert für eine bewusstere Auseinandersetzung in Fragen des humanen Lebens
Menschen, die auf ein Spenderorgan warten, stehen existenziellen Ungewissheiten gegenüber. Für sie geht es ums Überleben. Auch ethische Fragen können zur Belastung werden. Ein Arzt erklärte auf Nachfrage, es sei beispielsweise für viele Wartende ein Dilemma, dass ein anderer Mensch erst sterben müsse, damit man selbst weiterleben könne.
Auf Spenderseite sind die Zweifel von anderer Qualität. Sie zeigen sich oftmals erst auf den zweiten Blick. Laut einer Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) von Mai 2020 sind zunächst 73 Prozent der Deutschen bereit, nach dem Tod ihre Organe zu spenden. Doch von der abstrakten Befürwortung bis zur konkreten Absichtserklärung geht dieser Wille offenbar verloren. Das zeigt sich an der geringen und an der jüngst auch noch rückläufigen Anzahl von Menschen, die tatsächlich erklärte Organspender sind.
In unserer Gesellschaft ist der Umgang mit dem Tod weitgehend aus dem öffentlichen Leben ausgeklammert. Der Blick auf das eigene Sterben ist ohnehin mit einem Tabu behaftet. Dabei lohnt es sich, genauer hinzusehen, um vielleicht nicht eine letzte, aber doch das größtmögliche Maß an Gewissheit zu gewinnen, was das eigene Verhältnis zur Organspende anbelangt.
Der Humanistische Verband Deutschlands plädiert daher für zwei Dinge. Einerseits rät er dazu, verstärkt über die medizinischen Abläufe aufzuklären, die für Organspender*innen streng geregelt sind. Die DSO gibt darüber telefonisch, aber auch über deren Webseite detailliert Auskunft. Auf der anderen Seite spricht sich der HVD für eine Stärkung ergebnisoffener Beratungsangebote im Rahmen von Patientenverfügung und Gesundheitsvollmacht aus.
Derzeit gilt in Deutschland, dass ein Organspender aktiv seinen Willen zur Organspende erklären muss. Diskutiert wurde im Vorfeld der Gesetzesänderung aber auch die sogenannte Widerspruchslösung. Das heißt, dass alle Menschen hierzulande erst einmal als mögliche Organspender gelten würden, bis sie aktiv widersprächen. Doch der HVD sah damals in beiden Vorgehensweisen nicht die Lösung des eigentlichen Problems. Eine Neubewertung der Frage steht noch aus. Unabhängig davon hält es der HVD für zielführend, die Zahl der erklärten Organspender dadurch zu erhöhen, indem man Menschen mit medizinischer Aufklärung und mit ergebnisoffenen Gesprächen zu einer reflektierten und eigenständigen Entscheidung verhilft.