Das Urteil von Anfang Februar ist noch nicht rechtskräftig, eine Revision beim Bundesgerichtshof angekündigt, und der aus Datteln (NRW) stammende 81-jährige Mediziner erhielt zudem weitere Haftverschonung. Es war im August 2020, als er dem 42-jährigen Oliver H. im Beisein von dessen Mutter eine tödliche Infusion legte. Das Ventil zum Öffnen der Infusion ist von dem Suizidenten selbst betätigt worden, wie bei der ärztlichen Suizidassistenz und in der organisierten Sterbehilfe vorgeschrieben, um kein Fremdtötungsdelikt zu begehen.
Ein engagierter Aktivist in der Suizidhilfeszene hat den Fall zum Anlass genommen, um an Fraktionsvorsitzende der Ampel sowie der Union einen Appell zu senden, in dem es heißt: „Beihilfe zu einer straffreien Haupttat ist straffrei. Jedoch ist das Vertrauen zusammengebrochen darin, dass Beihilfe zur Selbsttötung straffrei ist, … nachdem alle begriffen haben, dass Suizidhelfer mit einem Bein im Gefängnis stehen. Deshalb muss der Bundestag einen neuen Ansatz finden.” Dabei drängt der Psychiatrieprofessor Frank Erbguth auf eine gesetzlich normierte „Einhaltung des Vieraugen-Prinzips als Mindeststandard“ sowie auf eine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes, um das international in der Suizidhilfe verwendete Mittel Pentobarbital zuzulassen.
Porträt Spittlers und Hintergründe des Falls
Der Verurteilte Dr. Johann Spittler war Lehrbeauftragter an der Uni Bochum, hat zahlreiche wissenschaftliche Abhandlungen veröffentlicht und ist seit Jahrzehnten in der Suizidhilfe tätig. Er hat in hunderten Fällen psychiatrische Gutachten vor allem für sterbewillige Mitglieder von Sterbehilfevereinen angefertigt und auch bei vielen Suiziden selbst ärztlich assistiert.
Oliver H. hatte eine langjährige Psychiatriegeschichte mit bereits drei Suizidversuchen (ohne Hilfe) hinter sich und dann Spittler persönlich um ärztliche Assistenz gebeten. Dieser kam nach Untersuchung des Patienten und Auswertung seiner ärztlichen Unterlagen zu folgendem Ergebnis:
Der Sterbewillige leide unter einer „Residualsymptomatik nach mehrfachen paranoid-schizophrenen Erkrankungen, einer depressiven Störung sowie einer Sehminderung“. Das wird im Prozess aus Spittlers Gutachten zitiert, welches laut Anklage jegliche Besserungsmöglichkeiten verkannt hätte. Spittler begründet darin vielmehr ausführlich, dass innerhalb der letzten drei Monate vor der Tat die Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Patienten vorhanden gewesen sei – dem im Übrigen die Geschäftsfähigkeit gemäß Betreuungsrecht nicht aberkannt war. Seine Mutter, die als Zeugin auftrat, gab als Anzeichen an: Probleme im Job, geringere Belastbarkeit, Bruch der Beziehung. Es hätte Lichtblicke, aber keine dauerhafte Besserung gegeben. Sie sprach von verzweifelten Hilferufen, Angst und absoluter Hoffnungslosigkeit und sagte laut Prozessberichterstattung aus: „Der Wunsch zu sterben, hat ihn nie wieder losgelassen“, so dass sie schließlich bereit gewesen wäre, ihn dabei menschlich zu unterstützen.
Wann und wie die Erkrankungen bei Oliver H. ausgebrochen und verlaufen sind, bleibt vor Gericht unklar. Aber war seine Freiverantwortlichkeit, wie sie als juristisches Konstrukt gilt, gegeben und konnte er die Tragweite seiner Entscheidung zur Selbsttötung wirklich erkennen? Die Richter am Essener Schwurgericht verneinten dies, folgten dem von der Staatsanwaltschaft bestellten psychiatrischen Gutachten und erkannten auf Totschlag in mittelbarer Tatherrschaft.
„Scharfes Schwert“ bei Verstoß gegen psychiatrischen Facharztstandard
Die dreijährige Haftstrafe für den vor allem durch die Fernsehdokumentation Mein Tod. Meine Entscheidung? deutschlandweit bekannten ärztlichen Suizidhelfer Johann Spittler hat allgemein Unverständnis und Empörung ausgelöst.
Aber es gab auch die Kommentierung aus einer renommierten medizinrechtlichen Kanzlei, die sich unter anderem auch für Patientenselbstbestimmungsrechte einsetzt. In deren Erklärung, die der Autorin vorliegt, wird betont: „Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschied im Februar 2020, Suizidhilfe sei ein Grundrecht. Voraussetzung sei jedoch eine freie Suizidentscheidung. Zu den Voraussetzungen einer solchen freien Entscheidung gehöre unter anderem, dass die suizidwillige Person ihren Willen ‚frei und unbeeinflusst von einer akuten psychischen Störung bilden´ kann.“ Das scharfe Schwert des Strafrechts sei insofern „eine wirksame Abschreckung, nicht freiverantwortliche Suizidenten zu unterstützen“, heißt es zum Urteil gegen Spittler in der Erklärung der Kanzlei. Darin wird zudem die folgende Meinung geäußert: „Für die derzeitige, zunehmend breite Praxis der geschäftsmäßigen Suizidhilfe in Deutschland bringt dieses Urteil ebenso wenig wie für die Überlegungen einer gesetzlichen Neuregelung.“
Das bedeutet im Klartext: Die allgemein bestehende Rechtslage erscheint aus Sicht dieser bei arztrechtlichen Problemfällen tätigen Rechtsanwälte als hinreichend. Sie betonen, es sei nicht Aufgabe des Bundestages, Sorgfaltskriterien gesetzlich zu normieren. Bei einschlägigen Gerichtsurteilen gehe es sinnvollerweise ausschließlich um Entscheidungen auf Basis des psychiatrischen Facharztstandards. Dr. Spittler liege in seiner fachlichen Einschätzung der Freiverantwortlichkeit außerhalb dieses Standards, was ihm bewusst gewesen sein sollte. Er hätte zudem wissen müssen, sich dann als Sterbehelfer strafbar zu machen – auch wenn der Suizident die Tat zwar eigenhändig ausführt, aber nicht selbstbestimmungsfähig sei aufgrund von psychisch-neurologischen Erkrankungen etwa auch wie beginnender Demenz oder Depression.
Während Juristen ermitteln, bewerten und verurteilen, vermag die Bundesärztekammer Ärzt*innen in dem „ungeregelten Zustand“ nur zu empfehlen, ihre (Warn-)Hinweise zur Suizidhilfe sorgfältig abzuwägen. Die Vertreter*innen der Dt. Gesellschaft für Palliativmedizin, Bernd Oliver Maier, Claudia Bausewein und Heiner Melchior, stellen laut Tagesspiegel Background Gesundheit vom 12. Februar klar: „Um die Freiverantwortlichkeit eines Menschen tatsächlich zu beurteilen, bedarf es [neben der Kompetenz psychiatrisch und psychologisch gut geschulter Fachleute] vieler weiterer Elemente.“ Grundlegend scheine vor allem „eine sehr gute Kenntnis der betreffenden Person und ihrer Lebensumstände“. Auf jeden Fall sei aber eine „Beziehungsgeschehen zwischen der betreffenden und der begutachtenden Person unbedingt erforderlich.“ Der renommierte Neurologe und Psychiater Frank Erbguth vertritt die Auffassung: „Die Einzelfälle sind zu unterschiedlich“. Eine Leitlinie zur Feststellung der Freiverantwortlichkeit zum Suizid – wenn sie zukünftig überhaupt interdisziplinär erstellt werden könnte – würde der Sensibilität und Komplexität des Themas nicht gerecht werden.
Nichtsdestotrotz hat laut Staatsanwaltschaft der Angeklagte sehenden Auges eine unzulässige Suizidhilfe gegen den Facharztstandard durchgeführt.
„Sachverständigenbeweis“ durch Gutachter ohne eigene Erfahrung
Hätten die Richter des Landgerichtes Essen gar nicht anders gekonnt, als Spittler zu drei Jahren Haft zu verurteilen? Damit blieb das Urteil vier Jahre unter dem von der Staatsanwaltschaft beantragten Strafmaß. Die Anwälte von Dr. Spittler forderten hingegen Freispruch. Spittler selbst hoffte bis zuletzt darauf, nachdem er zu Prozessbeginn eine Stunde lang seine Motivgründe geschildert hatte.
Dies hinterließ bei Richter Simon Assenmacher durchaus Eindruck, wie er in der Urteilsbegründung betonte: „Sein primäres Ziel war es, einer schwer kranken und leidenden Person den Wunsch zu sterben zu erfüllen – aus Mitleid.“ Als entscheidend für die Strafbarkeit gelte allerdings wie eh und je: Nur wenn die Freiverantwortlichkeit des Suizidenten sichergestellt ist, sei Hilfe zur Selbsttötung erlaubt und straffrei, ansonsten als Totschlag in mittelbarer Tatherrschaft zu ahnden. Johann Spittler soll sich im Wesentlichen auf die Äußerungen des Suizidwilligen verlassen, mögliche Besserungsaussichten ignoriert und Berichte anderer Ärzte von Oliver H. nicht ausreichend gelesen haben. So sei etwa die Augenkrankheit nicht so gravierend gewesen, wie der Patient selbst annahm. Ein vom Gericht gesondert eingeholtes augenärztliches Gutachten würde dies belegen.
Warum ist das Gericht nicht auch dem Fachgutachten von Spittler selbst sowie dem seiner Verteidigung, sondern nur dem von der Staatsanwaltschaft eingeholten Gutachten eines Psychiatrieprofessors gefolgt? Dieser hat den Sterbewilligen nie gesehen oder gesprochen. Dr. Spittler hingegen hat die dauerhafte Entschiedenheit in seinen Äußerungen sowie durch Mimik, Gestik, Modulation der Stimme usw. sowie seine Fähigkeit zur selbstreflektorischen und schlüssigen Darstellung seiner Situation wahrgenommen – und die „lediglich“ subjektiv vorhandene Angst vor einer Erblindung, auch wenn diese objektiv gesehen übertrieben gewesen sein mag.
Das Gericht kam zu dem Schluss, der Suizidwunsch beruhte auf einer „erkrankungsbedingt und nicht realistisch begründeten Annahme, dass es für seine psychische Symptomatik und die Augenerkrankung keine Besserungsaussichten gegeben habe“. Dieses strafrechtliche Einfallstor einer Besserungsaussicht ist beachtlich, denn ein anerkennenswert freiverantwortliches Suizidmotiv ist laut BVerfG-Urteil keinesfalls davon abhängig, ob noch mögliche Eingriffe, Therapien oder palliativmedizinische Maßnahmen vom Betroffenen angenommen werden, sondern lediglich, dass sie ihm bekannt sein müssen.
Die Richter milderten in ihrem Urteil den Vorwurf der Staatsanwaltschaft zwar ab, indem sie von Totschlag in einem minderschweren Fall ausgingen – der eine Bewährung allerdings ausschließt. Diese wäre wohl in Frage gekommen, wenn nur auf „fahrlässige Tötung“ erkannt worden wäre – etwa weil Spittler bestimmte Sorgfaltskriterien wie die Einholung einer ärztlichen Zweitmeinung außer Acht gelassen habe. Kann das Gutachten der Staatsanwaltschaft, verfasst von einem Psychiater namens Prof. Dr. Norbert Leygraf, hier als Beweis für eine verbotene Hilfe zur Selbsttötung gelten? Leygraf hat ausschließlich nach Aktenlage geurteilt und hätte, wie laut hpd-Artikel Spittlers Verteidiger anführte, in seiner beruflichen Tätigkeit noch nie mit dem Thema Suizidhilfe bei einem Patienten zu tun gehabt.
Aussichten für die Zukunft der Suizidhilfe
Wegen eines vergleichbaren Falles ist in Berlin ebenfalls ein Arzt angeklagt, der Suizidhilfe bei einer Patientin durchgeführt hat, die laut Staatsanwaltschaft aufgrund einer Depression keinen „freien Willen“ hat bilden können. Dieser Prozess beginnt am 20. Februar. Der Autorin sind weitere Ermittlungsverfahren gegen Ärzte bekannt, die u.a. mit Praxisdurchsuchung zu einer Anklage führen sollen.
Eine Fachdebatte findet darüber statt, ob es überhaupt einen „psychiatrischen Facharztstandard“ zur Beurteilung der folgenden Fragestellung gibt: Hat der Suizidwillige die Entscheidung, aus dem Leben zu gehen, hinreichend „unbeeinflusst“ (BVerfG 26.02.2020, RN 241) von seiner psychischen Erkrankung treffen können? Oder ist aufgrund dieser klar von einer nicht autonomen, soll heißen selbstgefährdenden Selbsttötung auszugehen, die unbedingt zu verhindern wäre? Letzteres wird in interdisziplinären Diskussionen und auch von einigen Psychiater*innen stark bezweifelt. Über den Fall Spittler hinaus stellt sich auch bei den Suizidhilfevereinen die Frage: Welche Kriterien müssen bei ihren suizidwilligen Mitgliedern etwa bei altersbedingter Einschränkung kognitiver Fähigkeiten oder depressiver Verstimmungen geschärft werden? Und schrumpft die Zahl suizidhilfebereiter Ärzte nicht allein aufgrund der Kenntnisnahme der Verurteilung eines Kollegen?
Die Frage, unter welchen Konstellationen und wie bei denjenigen, die um Suizidhilfe bitten, deren Freiwillensfähigkeit gewährleistet werden müsste, ist derzeit offen. Hier kann ein gesetzlich vorgeschriebenes kollegiales Vieraugenprinzip ein Mittel der Wahl sein. Auch wäre die Mitwirkung einer Suizidkonfliktberatungsstelle hilfreich, die ärztliche Assistenz und Prävention beim Suizid nicht länger als Gegensätze begreift. Die folgende Einschätzung dazu von Prof. Jan Schildmann, der an einem entsprechenden Forschungsprojekt beteiligt ist, entstammt ebenfalls Tagesspiegel Background Gesundheit: Schildmann zufolge gibt es gemeinsame Kriterien, die in allen Situationen im Umgang mit Suizidalität oder Suizidhilfewünschen erfüllt sein müssen: Wichtig sei in Gesprächen das Verständnis des Betroffenen zu Handlungsoptionen zu prüfen sowie seine Fähigkeit, diese „vor dem Hintergrund persönlicher Werthaltungen abzuwägen“ und „die Kommunikation einer Entscheidung“ einzubeziehen.
5 Kommentare zu „Scharfes Schwert des Strafrechts bei ärztlicher Suizidhilfe“
Es fehlen mir die Worte, einerseits ist es klar definiert, das man sich nicht strafbar macht bei einem assistieren Suizid. Und nun das??
Ich bin selber in der Situation, das der Tod näher ist als das Leben. Hatte den Herrn Spittler auch schon angeschrieben und bei gegeben Anlass, mir zu helfen, den assistieren Suizid zu vollziehen.
Da ich an Krebs erkrankt bin, nun schon seit fast 4 Jahren und schon wieder vor der nächsten Chemo stehe frage ich mich natürlich, muss das alles sein?
Heilbar ist er nicht, es ist nur ein herauszögern .
Wie viele wissen, es ist nicht die Chemo und OP, es ist der unaufhaltsame körperliche Zerfall . Das habe ich hautnah bei meiner Mutter erlebt, nicht erstrebenswert!!!
Was muss man alles aushalten, was so nicht sein muss. Das ist nicht würdevoll.
Ich werde es noch gerne weiter erläutern, wenn Interesse besteht
Liebe Frau van Aaken,
bei Ihrer bedauernswerten Diagnose (und in Ihrer Situation) sieht es sicher anders aus als bei einer schweren psychischen Erkrankung – wenngleich unter dieser zu leiden nicht weniger schlimm sein muss. Gern können Sie an die diesseits-Redaktion Ihre weiteren Erläuterungen schreiben, die diese dann zur Kontaktaufnahme an mich weiterleiten würde.
Mit freundlichen Grüßen, Gita Neumann
Sehr verehrte Frau van Aaken!
Wenden Sie sich bitte z.B. an die DGHS oder an Dignitas Deutschland. Sie müssen sich nicht vor einem krankheitsbedingten Siechtum fürchten! Es kann Ihnen geholfen werden, wenn Sie einen assistierten Freitod wünschen, der Wunsch dauerhaft und wohlerwogen ist sowie frei und unbeeinflusst von einer akuten psychischen Erkrankung zu Stande gekommen ist! Sie sind der Regisseur Ihres Lebens und es gibt (wenige) Ärzte, die Ihnen helfen können und werden. Haben Sie keine Angst – sie müssen den Leidensweg nicht bis zum Letzten ertragen und aushalten! Das Bundesverfassungsgerichtsurteil hat diese Möglichkeit zur Hilfe für eine autonome Sterbewunsch-Entscheidung eindeutig klargestellt! Alles Gute!
Die Crux liegt darin, dass psychische/hirnorganische und somatische Erkrankungen unterschiedlich gehandhabt werden. Bei somatischen Erkrankungen nimmt man an, dass das für die Bildung eines freien Urteils notwendige Gehirn unbeeinflusst sei von der Erkrankung, bei einer psychischen Erkrankung/hirnorganischen Beeinträchtigung nimmt man das Gegenteil an. Beides ist falsch. Der somatisch Erkrankte würde ja niemals den Suizid wählen, hätte er die Erkrankung nicht, diese Erkrankung und ihre Folgen auf seine Lebensqualität ist also Auslöser für den Suizidwunsch. Viele somatische Therapien, aber auch chronische Schmerzen und Entzündungen beeinflussen das Gehirn wesentlich. Dennoch nimmt man die Möglichkeit einer Distanzierungsfähigkeit des Patienten an. Eine solche Distanzierungsfähigkeit wird dem psychisch und hirnorganisch Erkrankten grundsätzlich abgesprochen. Wer viel mit diesen Patienten zu tun hat, weiß, dass das falsch ist. Auch diese Patienten verfügen häufig genug über ein „Fenster der Klarheit”, über welches sie rational ihre Entscheidung treffen können. Dieses Fenster müssen wir aufsuchen, das ist der Auftrag des BVerfG, das zudem eindeutig die Bindung der Zulässigkeit der Suizidhilfe an materiale Kriterien abgelehnt hat. Diagnosen aber sind materiale Kriterien. Diese helfen uns so wenig weiter wie die Delegation der Entscheidung an das Ergebnis von Checklisten und Fragebögen. Wir brauchen das Gespräch, die Einfühlung, den Nachvollzug sowie die narrative (!) Darlegung all dessen in einem „Fenster der Klarheit” des Suizidwilligen.
Kein Algorithmus wird uns das abnehmen können. Eine gesetzliche Regelung wird den hierzu notwendigen Freiraum notwendig verengen und den Weg in die Unmenschlichkeit, auf dem unsere Medizin ohnehin schon weit vorangeschritten ist, fortsetzen,
„Als entscheidend für die Strafbarkeit gelte allerdings wie eh und je: Nur wenn die Freiverantwortlichkeit des Suizidenten sichergestellt ist, sei Hilfe zur Selbsttötung erlaubt und straffrei, ansonsten als Totschlag in mittelbarer Tatherrschaft zu ahnden.”
Urteilt man nach diesen Maßstab, so scheiden alle psychisch kranke, alle dement, und alle polymorbid erkannten Menschen für legale Suizidhilfe aus, insofern ihr Suizidwunsch immer „beeinflusst” von ihrer Erkrankung ist, und also nie frei. Und warum man demgegebenüber Gliobastom‑, MS- oder ALS-Erkrankte für freiverantwortungsfähig erkennt, wird ebenfalls nur derjenige zu erklären vermögen, welcher das juristische Konstrukt „Freiverantwortlichkeit” erfand.