Die Ampelkoalition kann sich nicht darauf einigen, eine konsensfähige Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs auf den Weg zu bringen. Nun ist Mitte Oktober von den drei Professorinnen Friederike Wapler, Maria Wersig und Liane Wörner ein konkreter Entwurf 2024 vorgelegt worden. Er sieht eine Fristenregelung ohne Beratungspflicht bis zur 22. Schwangerschaftswoche vor. Die Kernpunkte entsprechen den ausführlichen Vorschlägen von 2022 des Humanistischen Verbandes Deutschlands – Bundesverband, welche mit fachlicher Unterstützung von Ethikprofessor Hartmut Kreß veröffentlicht worden waren. Der Humanistische Verband Deutschlands lädt nun zur Sondierungsrunde im Rahmen seiner Veranstaltung am 13. November ein.
Wie die Zeit berichtet, wird derzeit bei einer geplanten Strafrechtsreform neben der Entkriminalisierung des Schwarzfahrens die sprachliche Entnazifizierung der Tatbestände Mord und Totschlag diskutiert. Dabei handelt es sich um symbolische Änderungen der Definitionen, die aus dem Jahr 1941 stammen. Demgegenüber wird im Reformvorhaben aus dem Haus von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) das Thema Schwangerschaftsabbruch mit keinem Wort erwähnt. Das ist ein Schlag ins Gesicht aller, welche die strafrechtliche Stigmatisierung von Schwangerschaftsabbrüchen bei ungewollten Schwangerschaften verantwortlich machen für eine fortschreitend schlechter werdende ärztliche Versorgung bei Abbrüchen. Denn prinzipiell bezieht sich die Rechtswidrigkeit im § 218 StGB auf ca. 96 % aller Abbrüche, auch wenn sie nach Einhaltung bestimmter Voraussetzungen straffrei bleiben. Maßgeblich vom Ruch der Stigmatisierung betroffen sind Einrichtungen und Gynäkolog:innen, welche diese Eingriffe vornehmen, sowie die medizinische Ausbildung hierfür.
Für die drei Professorinnen – alle waren Mitglied in der (von der Ampel eingesetzten) Expert:innen-Kommission zu einer möglichen außerstrafrechtlichen Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs – ist es ein beachtlicher Erfolg: Ihr Entwurf eines reformierten Schwangerschaftskonfliktgesetzes mit Fristenregelung bis 22 Schwangerschaftswoche wurde von ca. 25 zivilgesellschaftlichen Organisationen und Initiativen unterschrieben. Das ist bemerkenswert – hatten sich doch einige der Organisationen noch im November 2023 widersprüchlich zur gleichgerichteten – Stellungnahme des Humanistischen Verbandes Deutschlands für die Kommission positioniert und einen radikalen Verzicht auf jegliche Neuregelung gefordert. Das heißt, sie hatten sich gegen eine Fristenregelung auch außerhalb des Strafrechts ausgesprochen, in der ja zwischen Früh- und Spätphase differenziert würde. Als anstößig und nicht opportun erschien ihnen demgemäß in der Stellungnahme der Satz zum Status des Fötus: „Die ethische Zuschreibung, es mit einem Lebewesen zu tun zu haben, welches als leidens- und schädigungsfähig angesehen werden und in einer verfassungsrechtlichen Güterabwägung Berücksichtigung finden kann, hängt vor allem von einer fortgeschrittenen neuronalen Verschaltung seiner Großhirnrinde ab.“ Zu denen, die demgegenüber ein zeitlich uneingeschränktes absolutes Frauenselbstbestimmungsrecht in ihren Stellungnahmen propagierten, gehören etwa: Terre des Femmes, AWO, Pro Familia, Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung, Zentralrat der Konfessionsfreien und das ihm nahestehende ifw (Institut für Weltanschauungsrecht).
Einladung des Humanistischen Verbandes Deutschlands zur Sondierungsrunde
Vernünftigerweise gaben diese Verbände ihre scheinbar radikalen Positionen nun auf und setzten ihre Unterschrift doch unter den professoralen Entwurf für eine gesetzliche Fristenlösung. Sind damit in der zivilgesellschaftlichen und frauenrechtlichen Bewegung die bisherigen Unterschiede und teils offenen Gegensätze überwunden? Es wäre zu hoffen. Denn es stehen erhebliche Herausforderungen bevor: Welche Konstellationen werden sich bei weiteren Gesetzentwürfen ergeben – etwa einem gemäß dem Fraktionsbeschluss der Grünen? Diese wollen Schwangerschaftsabbrüche nur innerhalb der traditionellen Frist von 12 Wochen entkriminalisieren und danach einen Fötenschutz etablieren. Hier wären zumindest parlamentarische Kompromissbildungen nötig, die sich etwa auf 16 oder 18 Wochen (statt 22) zu einigen hätten – oder vielleicht auf eine Pufferzone dazwischen mit Sonderregelungen. Vor allem aber: Womit muss gar in einer Legislatur mit CDU-Führung gerechnet werden?
Der Humanistische Verband Deutschlands – Bundesverband hat zusammen mit der Humanistischen Akademie Deutschlands zu einer Veranstaltung am 13. November mit „Sondierungsrunde“ nach Berlin eingeladen. In die Thematik einführen werden Professor Hartmut Kreß (Uni Bonn) und Carmen Wegge (MdB), Mitglied des Rechtsausschusses und Bundesvorstand des Arbeitskreises Säkularität und Humanismus in der SPD. Auf dem Podium werden neben frauenrechtlichen (etwa von Terre des Femmes) auch ärztliche Positionen und als liberaler EKD-Vertreter Professor Reiner Anselm miteinander ins Gespräch kommen.
Einige auch zu respektierende Positionen sprechen sich primär für eine möglichst umgehend zu verbessernde Versorgungslage und ärztliche Ausbildung aus – und/oder nur für eine teilweise Entkriminalisierung. Andere wiederum nehmen zugunsten der völligen Herausnahme aus dem Strafrecht den Gestaltungsspielraum einer verpflichtenden (statt nur anzubietenden) Beratung wahr oder halten diese vor allem in der Spätphase (Übergang vom 2. zum 3. Trimenon) für erforderlich. Alle diese Auffassungen – wie auch eine Legalisierung nur in der Frühphase durch die Grünen-Fraktion – sind mit dem Endbericht der oben genannten Expert:innen-Kommission durchaus vereinbar.
In einer Zusammenfassung des gut 330 Seiten umfassenden Berichtes heißt es, nach einem Jahr intensiver Beratungen und Anhörungen habe sich ergeben, „dass der Abbruch in der Frühphase der Schwangerschaft rechtmäßig sein sollte. […] Ein gesetzgeberischer Gestaltungsspielraum besteht in der mittleren Phase der Schwangerschaft. In der Spätphase der Schwangerschaft, also mit Eintritt der extrauterinen Lebensfähigkeit, ist der Schwangerschaftsabbruch als grundsätzlich rechtswidrig einzuordnen, es sei denn, die Fortsetzung der Schwangerschaft ist der Frau ausnahmsweise unzumutbar.“ (S. 321)
Verhindert starres Argumentieren eine Kompromissbildung?
Gerade dort, wo der enorme soziale und weltanschauliche Wandel unübersehbar ist, dabei jedoch Konflikte mit dem konservativ-religiösen Lager auslöst, sind die Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen lediglich zu Lippenbekenntnissen bereit. Ist das Reformvorhaben aufgrund des ewigen Lagerdenkens festgefahren?
Änderungen nur noch da, wo es nicht weh tut (wie Schwarzfahren in Zukunft nur noch als Ordnungswidrigkeit) – so lautet nun das gegenwärtige Reformmotto.
Aber haben sich vielleicht auch die Beschützer:innen des vorgeburtlichen Lebens einerseits und die frauenrechtlichen Pro-choice-Aktivist:innen andererseits zu starr gegenübergestanden? Haben sie kaum Empathie aufgebracht für Argumente der Gegenseite oder auch nur für Bedenken, die ihrem jeweils festgefügten Weltbild widersprachen? Es beginnt bei den emotionalisierenden Wortbildern und Vorstellungen zum Objekt des Schwangerschaftsabbruchs: Handelt es sich um ein werdendes Kind oder um lediglich zu entsorgenden Bioabfall? Sachliche Bezeichnungen wären: Fötus für den höheren Entwicklungsstand mit Empfindungsfähigkeit – wobei dann das Frauenselbstbestimmungsrecht an seine Grenze stößt – und Embryo für die frühe Phase und erst recht die ganz frühe, wenn es sich bei der Einnistung der befruchteten Eizelle in der Gebärmutter tatsächlich nur um ein Zellhäufchen handelt.
Aus den beschriebenen Unstimmigkeiten auch innerhalb der liberalen Reformbefürworter:innen können bis heute Ressentiments und Abgrenzungsimpulse bezüglich gemeinsamer Kampagnen und Petitionen nachwirken. Ein weiteres Beispiel: Laut Vorschlägen des Humanistischen Verbandes Deutschlands sollte es im Schwangerschaftskonfliktgesetz weiterhin den Passus geben, dass einzelne Ärzt:innen sich auf ihre ganz persönliche Haltung berufen dürfen, wenn sie selbst nicht an einem Abbruch teilnehmen wollen (außer es bestünde eine ernste Gesundheitsgefährdung der Schwangeren). Eine vor allem religiös begründete institutionelle Verweigerung von Abbrüchen für Krankenhäuser sollte demgegenüber ausgeschlossen werden. Eben dies ist sinnvollerweise auch im Gesetzentwurf von Wapler, Wersig und Wörner enthalten. Hingegen war dem Humanistischen Verband Deutschlands von Pro-Choice-Aktivist:innen diesbezüglich vorgeworfen worden, er torpediere den Schwangerschaftsabbruch als normale krankenkassenfinanzierte Gesundheitsleistung, die – wie ja auch bei jedem anderen ärztlichen Eingriff – eben keinen Gewissensvorbehalt zuließe.
Entsprechende Vorbehalte von einigen Unterzeichnenden mochten durch das sich schließende politische Zeitfenster zurückgestellt sein. Doch noch im Oktober 2023 hatte das Institut für Weltanschauungsrecht in seiner Stellungnahme an die Expert:innenkommission propagiert: „Das Institut für Weltanschauungsrecht spricht sich dafür aus, den selbstbestimmten Schwangerschaftsabbruch vollständig, d.h. ohne jegliche Fristen, zu legalisieren.“ (S. 1) Den völlig entgegenstehenden ehemaligen Bundesverfassungsgerichtsurteilen hielt das Institut vor: Nicht nur beim (frühen) Embryo sondern auch bei einem Fötus (also höherem Entwicklungsstand) „litten die beiden höchstrichterlichen Entscheidungen unter der Fehlannahme eines angeblichen Grundrechtsschutzes“, der sich „exegetisch“ nicht ableiten ließe.
Ausblick, Quintessenz und Quatsch
Der von den drei Professorinnen jetzt vorgelegte Gesetzentwurf normiert also – nach dieser Einteilung – eine frühe bis fortgeschrittene mittlere Phase als nicht länger rechtswidrig. Dies entspricht der Position des Humanistischen Verbandes Deutschlands, der allerdings auch die nur mit medizinischer Indikation für Ärzt:innen straffreien Spätabbrüche (definiert als nach gesetzlicher Wochenfrist) im Blick hat. Die Zahl beträgt in Deutschland zwar nur knapp 4 Prozent aller Eingriffe, das sind jährlich allerdings rund 3.500 Fälle. Zu dieser Sonderproblematik, welche vor allem die Einordnung der pränatalen Diagnostik betrifft, wird der Humanistische Verband Deutschlands eine Nachfolgeveranstaltung am 29. Januar 2025 durchführen.
Wochenfristen, (Pflicht-)Beratung, Phasen, Indikation, Stigmatisierung, Rechtswidrigkeit ohne Strafbarkeit – das hört sich alles recht kompliziert an für Laien (wobei fast alle Bundestagsabgeordneten dazu gehören). Rechthaberische Positionierungen werden kaum einem angeblich eindeutigen Mehrheitswillen der Bevölkerung entsprechen.
Vielmehr sind für eine Gesetzgebung aufgrund konsensorientierter Perspektiven Kompromisse nötig – und sie sind ja auch möglich, wenn jeweils für die Gegenseite vertretbare Zugeständnisse gemacht würden.
Herzliche Einladung zur Abendveranstaltung „Frauenrecht und Fötenschutz!” am 13. November in Berlin!